Berlin. . Politik und Umweltverbände fordern nach der Manipulation von VW-Dieseln in den USA Aufklärung über wahre Abgaswerte. Kritik an Konzernchef wächst.

Der Volkswagen-Skandal um manipulierte Abgaswerte von Dieselmotoren in den USA erschüttert die gesamte Autobranche sowie das Vertrauen der Kunden und Anleger. VW-Aktien verloren gestern dramatisch – innerhalb kürzester Zeit verpufften rund 15 Milliarden Euro oder mehr als 20 Prozent an Börsenwert. Und VW? Feiert am selben Abend eine rauschendes Fest in New York zur Präsentation des neuen Passat, auch wenn die Diesel-Variante in den USA gerade nicht verkauft werden darf - es fehlt die Zulassung durch die US-Umweltbehörde EPA.

Zudem muss VW auch strafrechtliche Konsequenzen fürchten. Das US-Justizministerium ermittle, ob dem Konzern kriminelle Machenschaften vorzuwerfen seien, meldete der Finanzdienst Bloomberg.

In Deutschland war die Empörung auf allen Seiten groß über den Betrug mit einer Software, die Prüfstandsläufe erkennt und daraufhin die Abgaswerte schönt, während sie in der Fahrpraxis viel höher liegen. Sofort kamen die Fragen auf: Hat VW auch auf dem Heimatkontinent manipuliert? Und die anderen Hersteller?

„Legale“ Manipulation in Europa

Die ernüchternde Antwort: Auch bei Abgas-Tests in Europa werden offenbar die Schadstoffwerte nach unten manipuliert. Nach Erkenntnissen der Verkehrs- und Umweltorganisation Transport & Environment (T&E) rüsten die führenden Hersteller ihre Diesel-Fahrzeuge so aus, dass sie bei Tests gezielt den Ausstoß von Stickoxid drücken. Im Normalbetrieb auf der Straße liegt der Wert erheblich höher. Eine ständige effektive Abgasreinigung werde aus Kostengründen nicht eingesetzt.

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Auch die EU-Kommission räumt enorme Unterschiede zwischen Testwerten und tatsächlichem Ausstoß ein, was bisher aber – anders als in den USA – nicht bestraft werden kann. Seit dem 1. September gelten in der EU für alle Diesel-Neuwagen niedrigere Emissionswerte, die aber meist nicht eingehalten werden. Deshalb gelten ab 2016 neue EU-Regeln für Tests unter normalen Fahrbedingungen. Die dafür benötigten Tests stehen aber noch nicht zur Verfügung.

Es geht um Winterkorns Vertragsverlängerung

Der Manipulations-Fall ist für VW-Chef Martin Winterkorn brisant. Am Freitag sollte der Aufsichtsrat eigentlich über die gegen den VW-Patriarchen Ferdinand Piech durchgesetzte Verlängerung seines Vertrags beraten. Gestern musste Winterkorn wegen „Dieselgate“ zum klärenden Gespräch bei Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) antreten. Dobrindt werde das Kraftfahrt-Bundesamt anweisen, bei den VW-Dieselmodellen nun umgehend strenge spezifische Nachprüfungen durch unabhängige Gutachter zu veranlassen. Winterkorn habe für diese Tests seine absolute Unterstützung zugesagt.

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Zuvor hatte Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) bereits von einem „schlimmen Vorfall“ gesprochen, das Bundesumweltministerium von „eklatanter Verbrauchertäuschung“. Man müsse sich um den exzellenten Ruf von VW und den Auto-Herstellern sorgen. Er erwarte aber keinen dauerhaften Schaden für die Industrie, so der SPD-Vorsitzende.

Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (CDU), aufgrund der Sperrminorität im Aufsichtsrat von besonderer Bedeutung, sagte: „Die gegen VW in den USA erhobenen Vorwürfe wiegen schwer.“

Auch der Betriebsrat wankt

Ebenso wichtig im Machtgeflecht des Volkswagen-Konzerns ist VW-Betriebsratschef Bernd Osterloh. Er hatte sich zwar gegen eine Vorverurteilung von Winterkorn gewandt und gesagt: „Ich stehe zu Herrn Doktor Winterkorn, der steht an der Spitze und muss das Thema aufklären.“ Doch sein Nachsatz lässt aufhorchen. Nun müsse zunächst aufgeklärt werden, wer die Verantwortung trage. „Wenn es sich daraus ergeben sollte, dass Herr Winterkorn an den Themen beteiligt ist, wird er von alleine zurücktreten“, sagte Osterloh. Als Mitglied des Aufsichtsrats werde er auf eine schnelle Aufklärung dringen, erklärte Osterloh weiter. Und. „Der Imageschaden ist doch schon groß genug.“

Für viele Umweltverbände ist der Fall klar. Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) äußerte massive Kritik an VW. "Das Bestreben von Volkswagen, bis 2018 zum umweltfreundlichsten Autokonzern der Welt zu werden, ist stark beschädigt", sagte Nabu-Bundesgeschäftsführer Leif Miller. Es müsse personelle Konsequenzen geben.

Seine Organisation kritisiere seit langem, dass die Abgaswerte vieler Fahrzeuge nur auf dem Prüfstand eingehalten und in der Praxis deutlich überschritten würden. Es sei naheliegend, "dass neben VW auch andere Hersteller manipulieren und zwar auch in Europa", ergänzte Miller laut Mitteilung. Die EU-Kommission und die Bundesregierung müssten dem nun schleunigst nachgehen, Abgastests anpassen "und diese um Messungen im realen Fahrbetrieb erweitern".

Ähnlich sieht es der Verkehrsclub Deutschland. Was Experten schon seit langem vermuteten und Umweltverbände wiederholt kritisierten, sei nun Gewissheit: "Autohersteller betrügen bei Abgastests."