Bochum. . In Bochum müssen sich sieben Manager wegen des Schienenkartells vor Gericht verantworten. Verteidiger werfen Thyssen-Krupp „Kesseltreiben“ vor.

Die sieben Angeklagten sind sich nicht einig, wie sie den Prozess angehen sollen. Einer schweigt, ein anderer will reden und gestehen, wieder ein anderer möchte sich ebenfalls äußern, aber bestreitet die Vorwürfe vehement. Über viele Jahre hinweg sollen die Manager – unter ihnen vier ehemalige Mitarbeiter von Thyssen-Krupp – Preise und Liefermengen für Schienen abgesprochen oder die illegalen Machenschaften zumindest gedeckt haben, um Kunden wie die Deutsche Bahn systematisch über den Tisch zu ziehen. Am Montag hat vor dem Bochumer Landgericht eine neue Runde der juristischen Aufarbeitung begonnen.

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Akribisch listet die Staatsanwaltschaft in ihrer Anklageschrift auf, wann es wieder ein Treffen der mutmaßlichen Kartellsünder gegeben haben soll. Mal soll eine Runde am Hamburger Flughafen entscheidend gewesen sein, dann eine Begegnung in einem Bottroper Hotel. Von Treffen in Essen und Hannover ist die Rede, mehrfach wird Duisburg erwähnt. Gesprächsbedarf gab es wohl regelmäßig dann, wenn die Deutsche Bahn wieder einmal eine millionenschwere Ausschreibung auf den Weg gebracht hatte. Bevor die Schienenhersteller ihre Angebote unterbreiteten, sollen ihre Manager die Modalitäten über die Unternehmensgrenzen hinweg ziemlich genau abgestimmt haben. Den Angeklagten drohen nun mehrjährige Haftstrafen.

300-Millionen-Euro-Forderung

Erst nach Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten geriet der Fall durch einen anonymen Hinweis ans Licht. Das Kartellamt ermittelte – und verhängte empfindliche Strafen gegen die beteiligten Unternehmen Thyssen-Krupp, Voestalpine und Stahlberg Roensch aus Seevetal bei Hamburg.

Der Kartellfall kam insbesondere Thyssen-Krupp teuer zu stehen. Insgesamt ist dem Essener Konzern durch das Schienenkartell nach eigenen Angaben ein Schaden von mehr als 300 Millionen Euro entstanden – durch Bußgelder und Forderungen von Kunden.

Beim Strafprozess vor dem Landgericht in Bochum tritt Thyssen-Krupp als Nebenkläger auf. Vorstandsmitglied Donatus Kaufmann spricht von einem „massiven Fehlverhalten einzelner Mitarbeiter im Namen von Thyssen-Krupp“. Von zwei früheren Bereichsvorständen, die nun auf der Anklagebank sitzen, fordert das Unternehmen in Zivilprozessen rund 300 Millionen Euro als Schadenersatz. Uwe Sehlbach, der zu den Managern zählt, von denen Thyssen-Krupp diese atemberaubende Summe verlangt, weist die Vorwürfe indes zurück. „Ich fühle mich unschuldig“, sagte Sehlbach, der sich auch als langjähriger Vorsitzender des traditionsreichen Essener Sportvereins Etuf einen Namen gemacht hat, kurz vor Prozessbeginn.

Anwalt spricht von „Kesseltreiben“ und „Sündenböcken“

Sehlbachs Verteidiger argumentieren, das Compliance-System, das die unternehmensinterne Einhaltung der Regeln und Gesetze gewährleisten soll, habe „systemisch versagt“. Einzelne Manager würden nun „als Sündenböcke“ herausgegriffen, sagte Sehlbachs Rechtsanwalt Rainer Hamm vor dem Bochumer Landgericht. Seinen Mandanten stellte er als Opfer eines „Kesseltreibens“ dar. Es sei schließlich nicht Sehlbachs Aufgabe bei Thyssen-Krupp gewesen, die Compliance-Arbeit im Konzern zu organisieren. Mehr noch: Die „Untätigkeit der Compliance-Abteilung“ sei für seinem Mandanten ein Indiz dafür gewesen, dass kein Handlungsbedarf bestanden habe, sagte Hamm.

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Wenige Meter von Sehlbach entfernt sitzt im Bochumer Gerichtssaal ein ehemaliger Thyssen-Krupp-Manager, der in der Vergangenheit bereits wegen Bestechung eines ranghohen Bahn-Einkäufers verurteilt worden war. Dennoch durfte der Manager als Bereichsvorstand bei Thyssen-Krupp bleiben und war auch für Geschäfte mit der Bahn zuständig.

Das Landgericht hat zunächst acht Verhandlungstermine vorgesehen – bis Ende Oktober. Er gehe von einer „umfassenden Beweisaufnahme“ aus, so Michael Rehaag, der Vorsitzende Richter. Gut möglich, dass der eine oder andere prominente Zeuge aus dem Management von Thyssen-Krupp Rede und Antwort stehen soll.