Berlin. 100 Tage nach der Einführung des Mindestlohns will Arbeitsministerin Nahles nicht am Projekt rütteln. Kritiker aus der Union fühlen sich brüskiert.
Gemischte Bilanz 100 Tage nach Einführung des Mindestlohns von 8,50 Euro: Die Preise in einzelnen Branchen wie dem Taxigewerbe oder der Gastronomie sind gestiegen, in Ostdeutschland zum Teil massiv – doch mit Preiserhöhungen auf breiter Front sei nicht mehr zu rechnen, erklärte am Donnerstag das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).
Ob die Verbraucher höhere Ausgaben etwa für den Friseur dauerhaft akzeptierten oder Betriebe nicht doch Beschäftigte entlassen müssten, sei aber abzuwarten. Die Bundesagentur für Arbeit zeigt sich gelassen: Bisher gebe es keine Anzeichen für Stellenabbau, zumindest in diesem Jahr werde der Mindestlohn nicht zu größeren Jobverlusten führen, heißt es aus Nürnberg.
Der CDU geht es um Details - aber um viele
Obwohl die Auswirkungen des am Freitag vor hundert Tagen eingeführten Mindestlohns damit weniger gravierend sind als von Kritikern befürchtet, steuert die Große Koalition jetzt auf einen heftigen Krach um Korrekturen am Gesetz zu: Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) lehnte gestern jede Änderung strikt ab und zog eine durchweg positive Bilanz des Mindestlohns, auf den die Regierung „stolz“ sein könne. Dies werde auch der Tenor ihres Berichts sein, den die Ministerin bei einem Koalitionsgipfel in zwei Wochen vorlegen muss. Kritiker aus der Union fühlen sich brüskiert: Aus ihrer Sicht ist es vereinbartes Ziel des Koalitionsgipfels, die Weichen für Korrekturen zu stellen.
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Der Chef der einflussreichen Mittelstandsgruppe der Unionsfraktion, Christian von Stetten (CDU), sagt: „Die Zahl der Probleme bei der Umsetzung des Mindestlohns sucht ihresgleichen.“ Die Forderungen konzentrieren sich auf Details: Es geht etwa um die Haftung der Betriebe für Subunternehmer und vor allem um eine Lockerung der Dokumentationspflicht. Bislang muss die Arbeitszeit für alle Minijobber und in neun Branchen auch für alle Arbeitnehmer mit bis zu 2958 Euro Monatsgehalt aufgezeichnet werden, um zu verhindern, dass der Mindestlohn durch längere Arbeitszeiten umgangen wird. Gegen diese Auflage laufen viele Betriebe Sturm. Doch Nahles lehnt Änderungen auch hier ab.
Arbeitgeber haben Probleme mit den Arbeitszeiten
Für die Auseinandersetzung holte sich die Ministerin gestern Rückendeckung auch von Arbeitgebern. Die Arbeitszeitdokumentation sei „keine große Sache“, bestätigte Jana Poszdiech, Geschäftsführerin eines Restaurants in Berlin-Mitte. Große Sorgen bereite ihr aber generell die seit 1994 geltende Arbeitszeit-Regelung: Länger als zehn Stunden dürfen Beschäftigte nicht arbeiten, das aber sei in der Gastronomie gar nicht machbar.
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Jetzt werden Verstöße gegen die Arbeitszeitvorschriften offensichtlich, bei Kontrollen drohen saftige Strafen. Poszdiech wünscht sich daher Ausnahmen. Nahles nickte und signalisierte erstmals, dass Änderungen am Arbeitszeitgesetz ein Kompromiss im Streit sein könnten. Mit dem Mindestlohn habe das aber nichts zu tun. Der Streit darum ist für Nahles längst zu einem Machtkampf mit Union und Arbeitgebern geworden. SPD-Fraktionsvize Carola Reimann sagt es so: „Hier werden erste Abwehrgefechte gegen die geplante Regulierung von Werkverträgen und Zeitarbeit geführt.“