Berlin. . Wirtschaft und Verbraucher sollen besser vor Arbeitskämpfen geschützt werden. Das Bundeskabinett gab deshalb grünes Licht für ein umstrittenes Gesetz.
Deutschland ist kein Land, das ständig von Streiks lahmgelegt wird. Selten rufen Gewerkschaften ihre Mitglieder dazu auf. So haben sich 2013 rund 60.900 Arbeitnehmer an Ausständen beteiligt – 0,25 Prozent der Beschäftigten. Im Vergleich etwa mit Frankreich ist das sehr wenig. Trotzdem hat die Bundesregierung am Donnerstag einen Gesetzentwurf beschlossen, der Streiks unwahrscheinlicher macht.
Danach sollen künftig in den Betrieben nur noch Tarifverträge mit den Gewerkschaften gelten, die die meisten Mitglieder haben. „Wir wollen Kollisionen vermeiden, auflösen und Kooperationen stärken“, erklärt Arbeitsministerin Andrea Nahles (SPD). Ziel sind einheitliche Abschlüsse für alle Beschäftigten. Mächtige Berufsgruppen wie Lokführer, Piloten oder Ärzte sollen nicht mehr ohne Rücksicht auf den Rest der Belegschaft ihre Interessen durchsetzen können.
GDL und Cockpit würden entmachtet
Für die Berufsgewerkschaften bedeutet dies eine erhebliche Einschränkung ihrer Macht. Auch die Ärztevertretung Marburger Bund und die Gewerkschaft Deutscher Lokführer (GDL) könnten entmachtet werden, wenn das Gesetz vom Bundestag verabschiedet wird. Auf die laufenden Tarifverhandlungen hat die Änderung aber keine Auswirkungen, weil sie nicht vor Sommer 2015 in Kraft tritt.
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„Das Streikrecht wird hier nicht berührt“, betont Nahles. Doch ein Blick in den Gesetzestext zeigt das Gegenteil: „Über die Verhältnismäßigkeit von Arbeitskämpfen wird im Einzelfall im Sinne der Tarifeinheit zu entscheiden sein“, heißt es darin. Und ein Streik einer kleineren Gewerkschaft, die aufgrund der geringeren Mitgliederzahl gar keinen Tarifvertrag abschließen kann, verlöre seine ordnende Funktion. Damit wäre er unverhältnismäßig. In der Praxis wird das Streikrecht für die Spartengewerkschaft auf diese Weise zumindest teilweise ausgehebelt.
Scharfe Kritik von Ärzteverband Marburger Bund
Entsprechend harsch fällt die Reaktion des Marburger Bundes aus. „Nicht nur die 115 000 Mitglieder des Marburger Bundes, sondern Hunderttausende von Arbeitnehmern in anderen Gewerkschaften werden diese Entscheidung als Angriff auf ihre grundgesetzlich verbrieften Rechte verstehen“, kritisiert die Ärztevertretung. Schon im Vorfeld hatte die Gewerkschaft eine Klage beim Bundesverfassungsgericht angekündigt.
Ganz anders sieht das die große IG Metall. „Mit dem Mehrheitsprinzip ist geklärt, dass eine solidarische Tarifpolitik für alle Beschäftigtengruppen Vorrang vor Partikularinteressen hat“, sagt der Chef der Metaller, Detlef Wetzel.
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DGB zufrieden, Verdi aber nicht
Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), dem auch die IG Metall angehört, war es, der das Gesetz zusammen mit dem Bundesverband der Arbeitgeber (BDA) initiierte. Nachdem das Bundesarbeitsgericht die früher geltende Tarifeinheit in einem Grundsatzurteil beerdigt hatte, forderten DGB und BDA die Bundesregierung 2010 auf, den alten Zustand per Gesetz wiederherzustellen. Die zweitgrößte DGB-Gewerkschaft Verdi ist mit dem Ergebnis nun aber keineswegs einverstanden, wie deren Chef Frank Bsirske dieser Zeitung sagte .
Auf die Arbeitsgerichte kommt mit dem Gesetz eine weitere Aufgabe zu: Im Streitfall müssten sie feststellen, welche Gewerkschaft in einem Betrieb die Mehrheit hat. Das gehört zu den Unwägbarkeiten des Vorhabens, denn niemand darf einen Arbeitnehmer zwingen, seine Gewerkschaftszugehörigkeit preiszugeben. Das dürfte einer der Einwände der Berufsgewerkschaften beim Verfassungsgericht sein.