Berlin. . Die Wirtschaftsweisen äußern harte Kritik an Rentenpaket und Mindestlohn der Großen Koalition. Aus ihrer Sicht dämpfen die Beschlüsse die Konjunktur in Deutschland. Doch die Einwände wollen weder Kanzlerin Angela Merkel noch die SPD gelten lassen.

Die Kanzlerin war doch ein wenig ungehalten über die Kritik der fünf Wirtschaftsweisen, die im Kanzleramt ihr Jahresgutachten überreichten. Dass etwa der Mindestlohn, der doch erst 2015 wirksam wird, schon jetzt die Konjunktur dämpfen soll, wollte Angela Merkel nicht einleuchten. Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) nannte die professorale Rüge zu Mindestlohn oder Rentenreform „nicht nachvollziehbar“. Seine SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi zweifelte gar den Sachverstand der Gutachter an.

Tatsächlich gehen die von der Regierung berufenen Wirtschaftsweisen scharf mit der Regierung ins Gericht. Für den Einbruch des Wirtschaftswachstums dürften die weltweiten Krisen und die Wachstumsschwäche im Euroraum verantwortlich sein, heißt es in ihrem Gutachten. Doch auch der wirtschaftspolitische Kurs der Regierung könne sich über Vertrauensverluste in der Wirtschaft als dritter Grund bemerkbar gemacht haben. „Eine wirkliche Aufbruchstimmung hat die Koalition jedenfalls bislang nicht erzeugt“, heißt es.

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Mütterrente und Rente mit 63

Stattdessen hätten die bisher beschlossenen Maßnahmen den künftigen Reformbedarf erhöht, warnte der Chef des Sachverständigenrats, Christoph Schmidt, auch Präsident des Essener Wirtschaftsforschungsinstituts RWI. Gemeint sind vor allem die Mütterrente und die Rente mit 63 einerseits, der Mindestlohn andererseits. Die Rentenreformen kritisieren die Ökonomen als eines der bisher teuersten Vorhaben in der Alterssicherung, das weder langfristig finanziert noch ökonomisch sinnvoll sei.

Ähnlich kritisch bewerten sie die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns zum 1. Januar 2015: Es handele sich um ein „sozialpolitisches Experiment mit unbekanntem Ausgang“. Im nächsten Jahr würden rund 100 000 Minijobs und rund 40 000 sozialversicherungspflichtige Stellen weniger entstehen als ohne Mindestlohn. Allerdings sehen das nicht alle Weisen so: Der gewerkschaftsnahe Ökonom Peter Bofinger verteidigte den Mindestlohn und betonte, im Friseur-Handwerk habe die Lohnuntergrenze nicht zu Arbeitsplatz-Verlusten geführt.

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Kurswechsel in der Koalition nicht durchsetzbar

Merkel versprach, die Regierung werde sich konstruktiv mit dem Gutachten auseinandersetzen. Aber der geforderte Kurswechsel ist in dieser Koalition kaum durchsetzbar. Die Experten-Kritik treibt stattdessen einen Keil zwischen Union und SPD. So begrüßte der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Joachim Pfeiffer, den Ökonomen-Rat mit den Worten: „Die Zeit der sozialen Wohlfühlprogramme ist vorbei.“ SPD-Generalsekretärin Fahimi meinte dagegen, das Gutachten werde den wissenschaftlichen Anforderungen nicht gerecht, die Kritik am Mindestlohn sei „hanebüchen“.

Dabei fanden die Weisen nicht nur Kritik. So lobte die Sachverständige Isabel Schnabel im Gespräch mit dieser Zeitung die Ankündigung der Regierung, ihre Investitionen um zehn Milliarden Euro zu erhöhen. Der Vorschlag von Schäuble gehe „genau in die richtige Richtung“, sagte Schnabel, „allerdings kommt das Programm erst 2016 und damit vielleicht etwas spät. Sinnvoll wäre es, die öffentlichen Investitionen schon früher zu erhöhen, auch dies dürfte bei Einhaltung der Schuldenbremse möglich sein.“ Besonderer Bedarf bestehe in der Infrastruktur.