Brüssel/Essen. . Deutschland kann arbeitslosen und nicht arbeitsuchenden Zuwanderern aus anderen EU-Ländern Hartz-IV-Leistungen verweigern. Das entschied der Europäische Gerichtshof in Luxemburg am Dienstag in einem Grundsatzurteil. Bundesregierung, Kommunen und EU-Kommission begrüßten das Urteil.

Deutschland muss EU-Ausländern keine Hartz-IV-Leistungen zahlen, wenn sie nicht arbeiten wollen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) gibt in einem Grundsatz-Urteil den Mitgliedsstaaten freie Hand für Sperren gegen „Sozialtourismus“. Wer als EU-Ausländer nur komme, um Unterstützung zu beziehen, könne von der Grundsicherung ausgeschlossen werden.

Mit dem Spruch bleiben den Kommunen hohe Folgekosten erspart, die sich ergeben hätten, wenn das Gericht in Luxemburg die deutsche „Hartz-IV-Sperre“ kassiert und so die Tür für zusätzliche Ansprüche, etwa von Zuwanderern aus Bulgarien und Rumänien, geöffnet hätte. Das deutsche Recht (Sozialgesetzbuch II) schließt ausdrücklich Ansprüche von Personen aus, die nur wegen der Stütze nach Deutschland kommen. „Arbeitnehmerfreizügigkeit ist an Arbeit gebunden“, erklärte die Europa-Parlamentarierin Birgit Sippel von der SPD. Die Beweislast liege aber bei den Behörden. „Klar ist nun, dass immer die persönliche Situation des Einzelnen zu berücksichtigen ist.“

Beweislast bei Behörden

Das Urteil (Az. C – 333/13) hat grundsätzliche Bedeutung für alle EU-Ausländer, die länger als drei Monate, a ber noch keine fünf Jahre in der Bundesrepublik ansässig sind. Ein Vierteljahr lang gilt die europäische Freizügigkeit nämlich voraussetzungslos. Und wer fünf Jahre hier ist, erwirbt allein dadurch das Recht auf dauerhaften Aufenthalt. Das Urteil gebe jetzt Rechtssicherheit bei Streitfällen mit Personen innerhalb der fraglichen Zeitspanne, meint Klaus-Dieter Sohn, Sozialrechts-Experte im Freiburger Centrum für Europäische Politik (CEP). „Viele Gerichte haben auf diese Entscheidung gewartet. Da werden jetzt zahlreiche Verfahren durchgeurteilt.“

Auch interessant

Der Ausgangsfall betrifft die Klage einer 25-jährigen Rumänin (Frau D.) und ihres in Deutschland geborenen fünfjährigen Sohnes, die seit mehreren Jahren in Leipzig bei der Schwester der Frau leben. Frau D. war weder in der Heimat noch in Deutschland erwerbstätig und hat sich auch nicht um einen Job bemüht. Sie bekommt für ihren Sohn Kindergeld (184 Euro im Monat) und einen Unterhaltszuschuss (133 Euro). Weitere Leistungen nach Hartz IV sowie Wohn- und Heizungsgeld verweigerte das Jobcenter Leipzig.

Signal an den britischen Premier Cameron

Zu Recht, erklärt nun der EuGH. Ein EU-Staat dürfe „Unionsbürgern, die von ihrer Freizügigkeit allein mit dem Ziel Gebrauch machen, in den Genuss der Sozialhilfe eines anderen Mitgliedsstaates zu kommen … Sozialleistungen versagen.“ Damit sind sie als Unionsbürger in diesem Punkt zwar schlechter gestellt als die Einheimischen. Das ist laut EuGH aber im Europarecht genau so vorgesehen, um eine Überlastung der Sozialsysteme zu verhindern.

Auch interessant

Die Klarstellung aus Luxemburg sei ein Signal über die Grenzen Deutschlands hinaus, sagt Manfred Weber, Fraktionschef der Christdemokraten im EU-Parlament. Die Botschaft richte sich vor allem auch an den britischen Premier David Cameron: „Von der EU wird kein Missbrauch und Sozialtourismus akzeptiert.“ Grundsätzliche Einschnitte bei der Freizügigkeit, mit denen Cameron liebäugelt, seien unzulässig.

Zuzug in Städte wie Duisburg und Dortmund

Politische Brisanz gewann das Thema, als in den letzten Jahren Städte wie Duisburg, Dortmund, München, Frankfurt und Hamburg einen Zuzug von mehreren Tausend Langzeitarbeitslosen aus Rumänien und Bulgarien verzeichnet hatten. Dabei beziehen Rumänen und Bulgaren deutlich seltener Sozialleistungen als der Durchschnitt der ausländischen Wohnbevölkerung.

Dennoch stieg auch die Zahl der Hartz-IV-Empfänger aus Bulgarien und Rumänien von Juli 2013 auf Juli 2014 von 37 800 auf 66 500. Die meisten sind allerdings nicht vergleichbar mit dem vom EuGH verhandelten Fall, weil sie sogenannte Aufstocker sind. Seit der vollen Freizügigkeit, die am 1. Januar in Kraft trat, dürfen Arbeitnehmer aus beiden Ländern auch geringfügige Jobs annehmen. Dann sind auch ergänzende Sozialleistungen möglich.