Essen. GDL-Chef Claus Weselsky gilt als Buhmann der Nation. Der Bahn AG kann das alles nur recht sein. Doch tut das Staatsunternehmen wirklich alles, um die Streiks abzuwenden? Oder trägt man in der Berliner Bahnzentrale seinen Teil zur Eskalation der Lage bei? Eine Analyse.
Die streikenden Lokführer müssen ein dickes Fell haben. Die öffentliche Meinung ist längst gekippt. Dem sonst hochgeschätzten Berufsstand schlagen Unverständnis, Wut und Empörung entgegen. Gewerkschaftsboss Claus Weselsky gilt als Buhmann der Nation. Und nun kommen noch Belehrungen durch die Bundesregierung hinzu, die sich aus Tarifkonflikten eigentlich heraushalten müsste, aber gerade dabei ist, ein Gesetz auf den Weg zu bringen, das Spartengewerkschaften wie die GDL in die Schranken weisen will.
Der Bahn AG kann das alles nur recht sein. Sie sieht sich dadurch in ihrer Haltung gestärkt. Dabei lohnt es durchaus, auch ihre Rolle zu hinterfragen. Tut das Staatsunternehmen wirklich alles, um die Streiks abzuwenden? Oder trägt man in der Berliner Bahnzentrale seinen Teil zur Eskalation der Lage bei?
Bahn wusste sich öffentlichkeitswirksam zu inszenieren
Laut Bahn standen beide Parteien am vergangenen Wochenende kurz vor einer Einigung, bis die GDL die Verhandlungen jäh abgebrochen habe. Der Konzern tat öffentlichkeitswirksam seine Verwunderung hierüber kund. GDL-Chef Weselsky hielt dagegen, die Bahn habe kein verhandelbares Angebot vorgelegt, sondern die Unterschrift unter einen Vertrag verlangt, der das Streikrecht seiner Gewerkschaft eingeschränkt hätte.
In dem Vertragswerk, das unserer Redaktion vorliegt, geht es der Bahn darum, eine Abstimmung zwischen beiden Gewerkschaften zu erreichen. Es enthält klare Regeln, was passiert, wenn es keine Einigung zwischen EVG und GDL gibt. Dann, so steht es in dem Papier, soll der Tarifvertrag mit nur einer der Gewerkschaften gelten, für die Lokführer mit der GDL und für die Zugbegleiter mit der EVG. Die damit verbundene Friedenspflicht soll dann auch für die unterlegene Gewerkschaft gelten. Die Lokführer dürften also nicht mehr für Zugbegleiter streiken, wenn die Bahn mit der EVG über diese Berufsgruppe eine Einigung erzielt hat.
Bahnangebot nach "stundenlangen Beratungen" abgelehnt
„Die Bahn hat darauf gepocht, dass am Ende die eine Gewerkschaft für die andere abschließt“, sagte der NRW-GDL-Chef Sven Schmitte unserer Redaktion. Schmitte ist Mitglied des Hauptvorstandes der Lokführergewerkschaft. Der hatte am Sonntag das Angebot der Bahn einstimmig abgelehnt. „Nicht Hals über Kopf, sondern nach stundenlangen Beratungen.“ Man hätte als Gewerkschafter ja ein Papier unterschreiben müssen, mit dem das Grundrecht auf Streik aufgegeben werde, so Schmitte. „Das kann doch wohl ernsthaft niemand von uns erwarten. Es wäre ein Bruch des Grundgesetzes.“
Leere Bahnhöfe beim GDL-Streik
Zweiter und aus Sicht der GDL ebenso schwerwiegender Knackpunkt des Bahnangebots: Lehnt die GDL einen zwischen Bahn und EVG ausgehandelten Tarifvertrag ab, würde mit Inkrafttreten dieses neuen Vertrages auch die sogenannte Nachwirkung des alten Tarifwerkes enden.
GDL-Mitarbeiter könnten auf auf einmal ohne Tarifschutz dastehen
Heißt: Im Gegensatz zur üblichen Praxis, dass ein Tarifvertrag so lange in Kraft bleibt, bis ein neuer abgeschlossen wird, stünden die betroffenen GDL-Mitarbeiter plötzlich ohne Tarifschutz da. Auch das ein No-Go für die Gewerkschafter.
Sven Schmitte, der GDL-Mann, hofft weiter auf Verständnis für die Lokführer. Der rigide Sparkurs der Bahn gehe seit Jahren auch zulasten der Mitarbeiter. „Nun wundert sich alle Welt, dass wir für unsere Sache kämpfen.“