Berlin. Ariane Friedrich hat sich ein großes Ziel gesetzt: Gold im Hochsprung gewinnen. Darüber würde sich nicht nur der Opa freuen. Immer wieder muss sie sich Fragen zu ihrer Figur anhören.
Der Opa von Ariane Friedrich hat ein Problem. Seitdem seine Enkelin als kleines Mädchen über die Hochsprunglatte floppt, zieht er mit einem Stift an seiner Küchenwand Linien mit Arianes Sprunghöhen. Das war zunächst keine große Aktion, doch in den vergangenen zwei Jahren hat sich Opa Friedrich beschwert, weil er immer häufiger auf die Leiter klettern musste, um neue Linien zu malen.
Der oberste Strich an der Küchenwand ist 2,06 Meter hoch. Im Juni hat Ariane Friedrich diese Höhe als Siegerin beim Berliner Istaf überquert und damit den 18 Jahre alten Deutschen Rekord von Olympiasiegerin und Weltmeisterin Heike Henkel verbessert.
Gewaltige Erwartungen
Heike Henkel war ein Star. Ariane Friedrich soll es auch werden. Die 25-Jährige ist das deutsche Gesicht dieser Weltmeisterschaft. Sie soll am Donnerstag bei der Weltmeisterschaft in Berlin den Titel im Hochsprung holen und so zur Retterin der deutschen Leichtathletik werden. Sie soll eine Sportart wiederbeleben, die händeringend nach einem Star sucht, der für einen Aufschwung sorgt, wie es Fabian Hambüchen im Kunstturnen oder Boris Becker im Tennis geschafft haben.
Die Erwartungen der Öffentlichkeit sind gewaltig. Weil sich Werfer wie Speerwurf-Weltmeisterin Steffi Nerius oder Diskuswerferin Franka Dietzsch nur beschränkt vermarkten lassen, ist Ariane Friedrich längst das größte Objekt der Begierde für Boulevardzeitungen oder Hochglanzmagazine geworden.
Ariane, die Trägerrakete
In Anlehnung an ihren Vornamen wurde sie schnell zur „Trägerrakete”. Inzwischen scheint sich die Frankfurterin damit abgefunden zu haben. Jedenfalls sagte sie nach ihrer eindrucksvollen Qualifikation am Dienstag, die sie mit einem einzigen makellosen Satz über 1,95 m meisterte: „Im Finale am Donnerstag werde ich die Weltrakete zünden.”
Dann fügte sie noch ein kurzes Tschüss hinzu und spurtete aus dem Stadion. Schnell ab ins Hotel. Nur kein Händeschütteln, ja keinen Körperkontakt. Friedrich schottet sich nicht nur aus Angst vor einer Infektion völlig ab. Sie soll am Donnerstag für einen schwarz-rot-goldenen Abend im Olympiastadion sorgen, doch springen wird sie in erster Linie nicht für das Publikum oder gar die Nation. „Ich springe nur für mich. Ich siege nur für mich, ich verliere nur für mich”, sagt sie und beweist, dass sie ehrlich ist und einen eigenen Kopf besitzt.
Bedingungsloses Vertrauen in den Trainer
Die Frau mit den weißblond gefärbten Haaren, die immer mit einer dunklen Sonnenbrille springt, lässt sich in kein Schema pressen. In Berlin kaufte sie sich in einem Möbelhaus eine extraharte Matratze, um diese gegen die Auflage in ihrem Teamhotel auszutauschen. „Arianes Rückenprobleme hätten den Erfolg beeinträchtigen können. Deshalb haben wir kein Geld gescheut”, sagt ihr Trainer Günter Eisinger.
So exzentrisch Friedrich auftritt, so bedingungslos vertraut sie dem 58-Jährigen. Er ist mehr als nur Trainer, er schlüpft in die Rolle des Rundum-Betreuers, des Psychologen und auch ein bisschen in die des Vaters.
Die große Frage: magersüchtig oder nur dünn?
Eisinger achtet auch auf Ariane Friedrichs Ernährung. Der Hochsprung ist ein schwieriges Geschäft. Jedes Gramm Körpergewicht weniger verspricht mehr Leistung, aber wenn eine Grenze unterschritten wird, kehrt sich der Effekt ins Gegenteil um. Dann hat man keine Kraft mehr, um über die Latte zu springen. Ariane Friedrich ist dünn, sehr dünn.
Offiziell wiegt sie 57 Kilo bei einer Körpergröße von 1,79 m. „Mir wäre auch lieber, wenn meine Hüftknochen nicht vorgucken”, sagte Friedrich dem Tagesspiegel. „Man kann aber nicht einerseits meinen deutschen Rekord beklatschen und andererseits meckern: Boah, ist die dürr! Ich finde diese Andeutungen, ich hätte Magersucht, wirklich bescheuert. Wie soll ich mich als Hochleistungsathletin übers Klo legen und mein Essen rauskotzen? Das passt ja nun gar nicht zusammen. Außerdem hätte ich Ekel davor.”
Mit ihrem nun optimalen Gewicht will diese Ariane Friedrich in Berlin den ganz großen Sprung schaffen. Der Titel oder zumindest eine Medaille sind das Hauptziel. Wenn es über 2,06 Meter hoch hinaus gehen würde, wäre auch der Opa froh. Für eine Weltmeisterin steigt er gerne noch mal in der Küche auf seine Leiter.