Malmö. Der Sieg bei der Europameisterschaft wird für die meisten deutschen U21-Fußballer ein einmaliges Erlebnis bleiben – von Manuel Neuer und Mesut Özil wird allerdings mehr erwartet.
Vor dem mittlerweile unbeleuchteten Eingang 29 des Fußballstadions von Malmö zeichnete sich die Silhouette eines Mannes ab, der keinen Champagner mehr wollte. Zumindest nicht in seinen Haaren. Horst Hrubesch war vor der Fröhlichkeit davongelaufen. Das weiße Handtuch, mit dem er seinen Kopf trockengerubbelt hatte, hing dem Juniorenbundestrainer noch um den Hals. Er brauchte jetzt eine Zigarette. So stand er da und sah Schwierigkeiten für den Deutschen Fußball-Bund voraus: „Du glaubst doch nicht, dass jemand die Spieler jetzt zum Bankett kriegt!”
Was wird daraus gemacht?
Was aus den ersten deutschen U21-Europameistern wird, war eine halbe Stunde nach dem 4:0 über England im Endspiel der EM in Schweden bloß eine praktische Frage. Wie bekam man sie von ihrer Feier in der Umkleidekabine los? Doch die Frage wird den deutschen Fußball nun auf Jahre begleiten: Was wird daraus gemacht, dass der DFB jetzt als erster Verband überhaupt gleichzeitig Europameister aller Jugendklassen ist, in der U17, U19 und U21?
Den größten Effekt wird kaum jemand wahrnehmen. Die Bundesliga hat mit 54 Prozent neben der englischen und portugiesischen Liga den höchsten Anteil ausländischer Profis; diese Quote sollte sich in den nächsten fünf Jahren um gut zehn Prozent reduzieren, oder die deutschen Klubs haben etwas falsch gemacht. Denn sie bringen dank ihrer nach 1998 radikal reformierten Nachwuchsarbeit wieder eine Menge solide ausgebildeter Talente hervor. Spieler wie den im Endspiel überwältigend dominanten Dortmunder Mats Hummels bis zum bei dieser EM etwas unglücklichen Hamburger Dennis Aogo; Spieler, die meist jenseits der Schlagzeilen bleiben werden – die einfach gut sind. Es ist die silberne Zukunft des deutschen Fußballs, die sich gerade auftut: in der Breite steigt das Niveau enorm.
Die absolute Spitze
In der absoluten Spitze dagegen werden auch Junioren-Europameister nur tröpfchenweise ankommen, das ist die Realität, die Frankreich und Spanien vorlebten, die anderen zwei, die jüngst der Talentförderung neue Dimensionen gaben: Es braucht sieben, acht besondere Jahrgänge, um eine außergewöhnliche A-Nationalelf zu gründen.
Auf der Tribüne in Malmö stand noch Bundestrainer Joachim Löw. Von zweien für die höchsten Sphären kündete er. „Wenn Mesut Özil sein Potenzial ausschöpft, ist er genial”, sagte Löw über Bremens Mittelfeldspieler. Und über Torwart Manuel Neuer: „Phänomenal, was er gehalten hat.”
Sammers Entschlossenheit
Der wahre Europameister war da in Löws Rücken schon eilig entschwunden. Wohl, weil sein furioser Ehrgeiz den DFB-Sportdirektor Matthias Sammer keinen Erfolg in Ruhe genießen lässt. Die Talente züchteten die Vereine, nicht er, aber mit Begabungen allein wird niemand Europameister. Das beweist Spanien, das Maß im Nachwuchsfußball, das in U17, U19 und U21 in der Vorrunde scheiterte, seit der neue Sportdirektor Fernando Hierro die Trainerposten mit seinen Amigos besetzte. Der DFB dagegen gewann jene drei EM-Turniere, weil Sammers wilde Entschlossenheit längst Programm ist. In Hrubesch fand er seinen unwahrscheinlichsten Paradetrainer.
Hrubesch galt als Inbegriff der staubigen Jahre, als der DFB stagnierte. Niemand hinterfragte diese Pauschalisierung. Bis Sammer ihn über Fußball reden hörte. Hrubesch hat eine Leidenschaft für dieses Spiel, Härte und Humor, die junge Spieler mitreißen. „Er war nicht nur ein Trainer, sondern ein Freund”, sagte Neuer, „der uns anschnauzte und dann sofort wieder aus dem Dreck zog.”
Theo, hol' die Scheine raus!
80 Minuten nach Abpfiff fanden sie doch noch einen Weg aus der Umkleide. Während beim Siegerbankett DFB-Präsident Theo Zwanziger seine Medaille dem Vorgänger Gerhard Mayer-Vorfelder schenkte, weil der doch das Modell der neuen Jugend eingeleitet habe, trugen die Spieler andere Wünsche vor. „Theo, hol' die Scheine raus!”, sangen sie. Etliche von ihnen werden keinen größeren Tag im Sport erleben, aber niemand von ihnen war sich dessen bewusst, am letzten Tag ihrer Fußballjugend. Stürmer Sandro Wagner erinnerte sich noch an die Abflugzeit am nächsten Tag. „Bis 14 Uhr”, sagte er dann, „kann diese Nacht dauern.”