Chieming. Rüstige Rentner aus Bayern entführen Anlageberater, von dem sie sich betrogen fühlen. „Filmreif” nennt selbst die Polizei das, was gestern öffentlich bekannt wurde. Ein Krimi mit komödiantischem Einschlag. James A. kann über so etwas nicht lachen. Er ist der Anlageberater.

Speyer am Dienstag vergangener Woche. James A. lässt den Tag gemütlich ausklingen. Erst im Biergarten, später ein langer Spaziergang. Dann ist es mit der Gemütlichkeit vorbei. Vor seiner Haustür trifft der 56-Jährige auf Roland K. (74) und den US-Amerikaner Willi D. (60). Man kennt sich. Geschäftlich. A. soll den beiden Immobilien in Florida vermittelt haben. Anfangs erfolgreich, seit einiger Zeit nur noch mit Verlusten.

Deshalb sind alle Ersparnisse von K. und D. weg. Und von einem Rentner-Ehepaar F. aus Schliersee auch. „Es geht um Millionen”, sagt Konrad Rutzinger, Pressesprecher des Polizeipräsidiums Oberbayern Süd. Angeblich genau um 3,3 Millionen. Die wollen die Geschädigten schon länger wiederhaben. Doch A. beruft sich auf die Finanzkrise. Nichts mehr da. Tut ihm leid.

Gefesselt im Kofferraum

K. und D. wollen sich mit dieser Antwort nicht zufriedengeben. Sie fesseln ihren Anlageberater mit Klebeband, packen ihn in einen großen Karton, und werfen ihn in den Kofferraum ihres Autos. Todesangst habe ihn da befallen, erinnert sich A.

Knapp 500 Kilometer rasen die Entführer mit ihrem Opfer durch die Nacht. Dann sind sie am Ziel, sind sie am Haus von K. im Dörfchen Hart bei Chieming. Als „liebe Leute” gelten Roland K. und seine 79-jährige Ehefrau hier bei den Nachbarn. Jetzt haben die „lieben Leute” eine gefesselte Geisel im Keller. Bei Wasser und Suppe.

Zur Verstärkung reist das Ehepaar F. an. Willi D. ist ohnehin noch da. Abwechselnd nehmen sie A. vier Tage lang in die Mangel. Sie kündigen Schläge an, drohen mit Tod. Und immer wieder fordern sie: „Gib uns unser Geld zurück.”

Um Zeit zu gewinnen, greift der Anlageberater zu einer Lüge. Er könne Wertpapiere verkaufen, flunkert er, „spezielle Policen”. Dafür müsse er seiner Bank aber ein Fax schicken. Die Rentnergang willigt ein – obwohl A. ihre Kontoverbindungen und die Telefonnummer des Hauses in Hart auf das Fax schreibt.

Listiges Fax

Wer dieses Fax bekommen hat, wissen die Ermittler der Kripo bis heute nicht. „Wir konnten das nicht zurückverfolgen”, bestätigt ein Sprecher. Wer es auch war, er hat reagiert. Freitagabend meldet er sich anonym bei der Polizei. Die Beamten ermitteln. Dann handeln sie. Was Nachbarn in der nächsten Nacht für Freudenböller einer Hochzeitsgesellschaft halten, ist in Wahrheit ein Sondereinsatzkommando, das beim Sturm auf das Haus der Entführer alle Türen sprengt.

Die Rentnergang ist überrascht, Widerstand leistet sie nicht. Im Keller des Hauses finden die Beamten in einem abgesperrten Raum den Vermissten. Die Verdächtigen werden festgenommen und einem Richter vorgeführt. Der überlegt angesichts des Alters lange, bevor er Haftbefehle erlässt. „Wegen der sehr hohen Strafe, die den Verdächtigen droht”, sagt Polizeisprecher Rutzinger. Wahrscheinlich aber auch wegen drohender Fluchtgefahr. Alle Festgenommenen verfügen nämlich über einen Wohnsitz in den USA.

Der englischen Sprache sind sie anscheinend dennoch nicht mächtig. Sonst hätten sie gemerkt, mit welchem Trick A. im Fax auf seine missliche Lage aufmerksam gemacht hat. Die Wertpapiere, mit deren Verkauf er die angebliche Bank beauftragt hatte, nannte er „call-pol.-ice” – auf gut deutsch: Ruf die Polizei.