Hannover. Piratenpartei – das klingt nach schrägen Vögeln, gekreuzten Knochen und Rumflaschen-Politik. Doch hinter der schwarzen Fahne versammeln sich nicht nur abgedrehte Spinner. Nun setzen sie auf ihrem Parteitag die Segel für den Bundestagswahlkampf.
Auf jeden Fall sind sie erfolgreiche Räuber: Sie kapern erfolgreich in der politischen Landschaft, und sie werden immer mehr.
„Wir zählen jeden Tag 100 neue Mitglieder”, sagt Dirk Hillbrecht, der bisherige Bundesvorsitzende der Piraten, im WAZ-Gespräch. Der Software-Entwickler aus Hannover kann es manchmal selbst nicht glauben. Zur Europawahl trat die 2006 gegründete Partei mit 1000 Mitgliedern an, jetzt sind es rund 3300. Sie haben Verbände in allen Bundesländern und gerade eine Parteijugend (Jupis) gegründet. Am Wochenende ankern die Piraten in Hamburg. Dort, auf ihrem ihrem Bundesparteitag, haben sie nun die Segel für den Bundestagswahlkampf gesetzt. Der neue Bundesvorstand wird künftig von Jens Seipenbusch geführt.
Vorbilder in Schweden
Großes Vorbild ist die schwedische Piratenpartei. Die ernteten bei der Europawahl 7,1 Prozent zogen ein ins EU-Parlament. Davon können die deutschen Piraten mit ihren 0,9 Prozent nur träumen, aber in bestimmten Bezirken räumten sie dennoch ab: In Aachen kamen sie in einem Wahllokal auf 8,7 Prozent, in einem Hamburger Stadtteil auf acht und in Berlin-Friedrichshain auf vier Prozent.
Warum das so ist? Die Piraten sprechen eine Klientel an, mit der sich die etablierten Parteien schwer tun: Ihre Aktiven sind jung, aus Sicht der SPD und wohl auch der Union beneidenswert jung. Der bisherige Parteichef Hillbrecht (Jahrgang 1972) zählt schon fast zu den Senioren an Bord. Vor allem Männer zwischen 20 und 30 finden sich mit ihrem Lebensgefühl hier wieder. Ihre Welt ist mindestens so virtuell wie real; sie misstrauen der „Kontroll- und Datensammelwut” des Staates, wollen im Internet freie Fahrt für freie Bürger, lehnen Patente auf Software ab und würden das Gesetz zur Bekämpfung der Kinderpornografie im Internet am liebsten in der Südsee versenken.
Freie Fahrt fürs Internet
Den Vorwurf, damit den Freunden von Schmuddel- und Ekelseiten einen Dienst zu erweisen, lässt Hillbrecht nicht gelten: „Wir sind nicht gegen den Zweck des Gesetzes. Aber es geht klar am Ziel vorbei, der Staat schafft hier eine Zensur. Besser wäre es, diese Seiten gar nicht erst ins Internet kommen zu lassen. Die Server sind doch bekannt. Die müssen diese Seiten vom Netz nehmen.” – Eine Position, die übrigens auf WAZ-Nachfrage durch den Bundesbeauftragten für den Datenschutz bestätigt wird. Dass der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss bei den Piraten angeheutert hat, zwingt Hillbrecht zu diplomatischen Sätzen. Immerhin wird gegen den Mann wegen des Besitzes von Kinderpornographie ermittelt: „Die meisten Mitglieder sagen, dass man ihn zwar beobachten muss, aber bis zum Beweis des Gegenteils gilt die Unschuldsvermutung.”
Themen, die die Welt der jungen Internetnutzer kaum tangieren, umschiffen die Piraten. Die Bundeswehr in Afghanisten, die Finanz- und Wirtschaftskrise, Hartz IV? Für die Piraten sind das Untiefen. Hillbrecht: „Wir kommen aus der Internet-Ecke, und von dort aus entwickelt sich unser Programm.” Auf Bildung wollen sie künftig setzen, auf die Abschaffung von Studiengebühren. Aber daraus könne man nicht herauslesen, ob die Piraten nach links oder rechts segeln. Im Gegenteil. „Die anderen Parteien verstehen uns nicht.”