Essen. Für Raucher in Kneipen gilt nach wie vor: Wo ein Wille ist, ist auch ein Gebüsch. Sagt die Expertin in der Friesenstube in Gelsenkirchen. Denn das Nichtraucher-Schutzgesetz NRW gilt als praktisch nicht anwendbar, wie eine kleine Kneipentour beweist.

Zwischen Leerstand, Räumungsverkauf, Sonderangeboten und dem Sozialgericht ist die „Friesenstube” ein 49,6 Quadratmeter großer Lichtblick. Halb elf morgens, die Theke ist besetzt, die meisten Tische sind es auch, und „überall qualmt irgendwas”, sagt die Wirtin Silvia Kambic ganz zufrieden.

Sie zündet sich selbst eine an, eigentlich dauernd; früher hätte man eventuell gesagt, sie raucht, aber heute muss es natürlich heißen: Sie pflegt die westfälische Tabakkultur – so steht es nämlich in der Satzung dieses Raucherclubs „Friesenstube” in Gelsenkirchen.

Viele flohen in den Raucherclub

Raucherclub: Das war im Sommer 2008 das größte Schlupfloch für Kneipen, ihre Gäste weiter rauchen zu lassen, damals, als das nordrhein-westfälische Nichtraucher-Schutzgesetz (NiSchG NRW) in Kraft trat. Seitdem kamen andere Auswege hinzu, und derzeit macht jeder Wirt, was er will.

Oder, um nochmals die gut gelaunte Silvia Kambic zu zitieren: „Wo ein Wille ist, ist auch ein Gebüsch.” Nun wird das Gesetz bis Ende 2009 nochmals umgeschrieben, um den Einwand des Bundesverfassungsgerichts zu berücksichtigen, bei so vielen Ausnahmen müsse es auch eine geben für kleinere Einraumkneipen. Aber an die alten Ausnahmen wird nicht gerührt, nach allem, was man hört aus Düsseldorf. Dort haben sich ja keine Mehrheiten geändert.

Wie eine kurze Inspektion im Bochumer Bermuda-Dreieck beweist: Da gibt es Kneipen, in denen auch ohne Club geraucht werden darf, Gaststätten, in denen abends geraucht werden darf, Gaststätten, in denen bei Fußballfernsehen geraucht werden darf . . . Alles andere sind Raucherclubs.

,Nicht an jeder Stelle'

Nein, das war jetzt ungerecht: Die Zahl der Nichtraucher-Kneipen ist offenbar auch gestiegen, aber vom Ziel, die Gastronomie prinzipiell rauchfrei zu kriegen, ist NiSchG Meilen entfernt. „Es gibt für jeden alles, aber nicht an jeder Stelle”, so beschreibt ein Sprecher des Gaststättenverbandes NRW das Durcheinander.

Freilich muss man auch mal sagen: Das Gesetz hat den aktiven Sprachschatz vieler Menschen erweitert um Begriffe wie „inhabergeführte Einraumkneipe” oder „getränkeorientierte Kleingastronomie”, was unbedingt ein Fortschritt ist.

„Das Gesetz ist praktisch nicht anwendbar”, sagt Reinhard Firlej, Abteilungsleiter im Bochumer Ordnungsamt. Da gibt er eine einhellige Ansicht wieder: So hält der Städte- und Gemeindebund „die Beibehaltung der Ausnahmeregelungen für nicht vertretbar”, und der Städtetag beurteilt das Nichtraucher-Schutzgesetz in seiner jetzigen Fassung als „weitgehend wirkungslos”.

Denn in dem Gesetz und den detailfreudigen Erläuterungen stehen ja nicht nur die allseits bekannten Ausnahmen für Raucherclubs oder Festzelte. Da stehen noch viel mehr lustige Ausnahmen: In Stadien, die teilweise geöffnet werden können, darf geraucht werden, in Klinikverwaltungen, sofern sie getrennt sind vom Behandlungstrakt, in Psychiatrien (aber nur die Patienten) oder – um in die Kneipe zurückzukehren – bei Parteitreffen oder Podiumsdiskussionen.

„Wir würden nur noch massiven Beschwerdelagen nachgehen, aber selbst die gibt es kaum noch”, sagt Firlej, der Mann aus dem Ordnungsamt. Und eine Kippenpolizei war eh nie unterwegs.

Hauptversammlung mit fünf Mitgliedern

Tatsächlich ist die Lage so verfahren, dass nicht einmal mehr die Raucherclubs die Bestimmungen für Raucherclubs ernst nehmen. Was hatten sie nicht alles organisiert in den vielen umgewidmeten Kneipen: Mitgliederausweise ausgegeben, Listen geführt, Satzungen beschlossen und die Bedienung unterschreiben lassen, dass sie einverstanden ist mit Rauch an ihrem Arbeitsplatz; in der „Friesenstube” gab es sogar zu einem frühen Zeitpunkt eine Jahreshauptversammlung, als die Zahl der Mitglieder noch überschaubar war (fünf).

Längst wird die Liste nicht mehr geführt, „sie liegt auf Eis, aber wir haben sie noch”, sagt Silvia Kambic: „Wer weiß, was noch kommt!” Nach den bisherigen Erfahrungen mit NiSchG ist das schlau.