Dinslaken. Jede Stadt des Ruhrgebiets wird im Laufe des Jahres 2010 eine Woche im Mittelpunkt stehen. In Dinslaken geht es an diesem Wochenende los. "Die Stadt ist in Aufruhr."

Neun Leute müssen eine Gruppe werden, ach was, Leute – Künstler. Ihre Sparten reichen von Harmonielehre bis Kunsttherapie, ihre Namen von Samirah Al-Amrie bis Walburga Schild-Griesbeck; aber nun ist man halt unter einem Dach gelandet, die Räume sind noch nicht fertig, Proben fangen gerade erst an, und technische Durchläufe? Kein Gedanke! Drei Tage nur noch.

Aber „alle geben sich die Klinke in die Hand”, sagt der Event-Manager Michael Krebs; denn Montag soll dieses gemeinsame Kreativquartier hier auf der früheren Zeche Lohberg eröffnet werden.

Und so kommt es dann, wenn man neugierig die Tür öffnet mit dem Schild aus alter Zeit „Bergwerksdirektion Betriebsdirektor Produktion Sekretariat K 1.1.10”, dass man dahinter eine . . . eine Art Skulptur findet, jedenfalls unfertig, und vor der liegt unübersehbar ein Blatt Papier: „Kulturhauptstadtprojekt! Bitte stehen lassen. Int-Veen + Sowa. Danke!”

Schaut auf diese Stadt!

Weißkauen zu Bühnen, Lohnhallen zu Ateliers: Auf Lohberg unter anderm materialisiert sich gerade die Kulturhauptstadt. Nicht wie aus dem Nichts, die Vorlaufzeit war weiß Gott lange, aber nun wird es ernst hier in Dinslaken.

Denn die Stadt ist der erste „Local Hero”: Jede Stadt des Ruhrgebiets wird im Lauf des Jahres 2010 eine Woche lang „Local Hero” sein, wird im Mittelpunkt stehen der ganzen, großen Kulturhauptstadt Ruhr 2010, wird eigene Projekte präsentieren, wird seine Seele zeigen – sinngemäß ist Local Hero daher wohl ganz gut übersetzt mit: „Heute ein Künstler!” Schaut auf diese Stadt!

72 000 Einwohner, mit einem Bein am Niederrhein, rund 35 Kilometer entfernt von der Mitte von Essen. Wieso also Dinslaken, eher klein und randig? „Wir wollten die ersten sein, da gab es auch gar nicht groß Konkurrenz”, sagt Thomas Pieperhoff, der 2010-Beauftragte der Stadt: „Vielleicht hatten andere Angst vor dem Sprung.”

Der Heldenstadt Nummer 1 ist jedenfalls noch eine größere Aufmerksamkeit sicher, auf eine Nummer 28 oder 41 wird bestimmt nicht mehr so geschaut. „Wenn wir mehr Dynamik gewinnen wollen, müssen die Leute mitkriegen, dass sie wahrgenommen werden”, sagt Pieperhoff dazu. Und: „Wenn es gut läuft, wird das Selbstbewusstsein gestärkt daraus hervorgehen. Bei uns in der Stadt wird bisher immer schnell gesagt: Gute Idee, aber . . . ” Insofern passt es schon sehr, Dinslaken für das Ruhrgebiet.

Was wird sein?

Dazu kommt Lohberg, die Bergbau-Kolonie, Stein gewordenes Revier mit diesen typischen Denkmalsschildern: „Die Siedlung wurde von der ,Gewerkschaft Deutscher Kaiser' gebaut, die den Brüdern August und Fritz Thyssen gehörte.” Und die Innenstadt, die leider aussieht wie sie alle – auch sie wurde zertrümmert im März 1945.

Plakate in Schaufenstern, Transparente über Einfallstraßen, Litfasssäulen vollgeklebt: „Local Hero No. 1.” „Als Dinslakener stolpert man fast täglich über die Kulturhauptstadt”, sagt Krebs, der Manager. Aber natürlich gibt es auch immer andere, sie sagen „Man wird gar nicht richtig informiert” oder „Was da wieder für Geld ausgegeben wird”. „Also, Gespräche, dass man sich groß Gedanken macht über die Kulturhauptstadt, nein”, sagt die Theke im Gasthaus Maas.

Lokale Heldenstadt Nummer 1. Führungen sind angekündigt und Lesungen, Theater und Kabarett, Konzert, Podiumsdiskussion, voll das Programm, bis hin zu dem Aufruf, Bettwäsche zu bemalen, und die hängt dann in der Stadthalle aus. Dins-Laken. Man kann auch einen Preis gewinnen.

„Vieles sind ja auch zugängliche Sachen, für jedes Alter und Verständnis”, sagt Matthias Schreyer. Er ist gerade mit Freunden unterwegs, sie gestalten sieben Plakatwände unter dem Motto „Was war, was ist?”, und an einer achten kann sich jeder beteiligen, der des Weges kommt: „Was wird sein?”

Was sein wird, begeistert die Gruppe geradezu: „Für uns ist es super. Die Stadt ist in Aufruhr, alle machen was”, sagt Ben Perdighe: „Mit etwas Glück ist das ein Zündfunke, damit mehr passiert.” Alle machen was, das ist natürlich nur die kulturnahe Szene; aber die ist größer, als man so denkt.

Kommen zwei junge Männer aus einem Denkmalsgebäude, und der Eiswind transportiert Wortfetzen. Sagt der Erste: „. . . heiße Milch mit Zitrone, und schmeiß' dich in die Koje, Alter.” Sagt der Zweite: „Nach der Local-Heroes-Woche.”