Essen. Bewegende Bilder, bewegende Kulisse, aber festgefrorene Zehen: Zur Generalprobe der Eröffnungsfeier von Ruhr.2010 kamen am Freitag trotz klirrender Kälte zahlreiche Zuschauer - viele wollten vor allen Dingen einen Blick auf Herbert Grönemeyer werfen.

Als gewaltige Flammenfontänen vor dem Stahlkoloss der Kokerei Zollverein gen Himmel züngeln, ist die Kälte verschwunden. Vielleicht noch nicht aus den Zehen, aber gewiss aus dem Bewusstsein der 1000 Gäste, die sich am Freitag in Decken gehüllt drängelten, um einen Voreindruck zu erhaschen von der Eröffnung der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 – und von Grönemeyers Ruhr-Hymne.

Dass Generalproben schon ohne Minusgrade zur Zitterpartie geraten, ist ja kein Geheimnis. Aber in den letzten Tagen ist so viel darüber geredet worden, ob er kommt, der große Schneesturm, dass man sich über das künstlerische Gelingen kaum noch Sorgen machte. Dementsprechend souverän trat deshalb Geschäftsführer Fritz Pleitgen zur Begrüßung vor seine Gäste und witzelte: „Windstärke 8 ist genau das, was wir brauchen. Das ist typisch für das Ruhrgebiet, rau aber herzlich.”

Der Rum ist ausgelaufen

Die Zuschauer haben sich derweil mit der beißenden Kälte arrangiert, dank polartauglicher Jacken, Mützen, Alu-Sitzkissen. Es kreisen Becher, mit Kaffee, mit Glühwein. „Entschuldigung, dass es hier so riecht”, sagt eine Frau im Pelz und nestelt unglücklich an ihrer Wolldecke, „aber mir ist der Tee mit Rum ausgelaufen.” Der Sitznachbar hilft aus, er hat einen Flachmann.

Gespannt sind alle auf Grönemeyer, doch zuvor stellt sich die eher abstrakte Frage: Kann man den Strukturwandel tanzen? Man kann, wie die Inszenierung von Gil Mehmert, das Kernstück der Eröffnung, auf völlig anschauliche Weise vorführt. Es beginnt mit Krach, mit rhythmischem Getrommel auf Ölfässern und Stahlrohren, rasant getanzt, fast hypnotisch und gipfelnd in den Flammenfontänen. Das passt perfekt zum alten Ruhrgebiet, das hier auf der Zeche Zollverein noch so gegenwärtig ist. Nach diesem Ausflug in die industrielle Vergangenheit fliegen die Tänzer über Jazz und Swing hin zu Breakdance in die Gegenwart – mit spektakulären artistischen Einlagen.

Grönemeyer singt die Ruhr-Hymne wie ein Liebeslied

Um dies noch zu steigern, bedarf es schon eines Herbert Grönemeyers. Lässig spaziert er erst auf die Bühne als die Band schon spielt. Und wer beim auffordernden Charakter des Titels „Komm zur Ruhr” erwartet hätte, dass es mit Inbrunst zur Sache geht, hat sich geirrt. Sacht, balladesk, wie ein Liebeslied singt Grönemeyer die Zeilen: „Wo man nicht dem Schein erliegt, weil man nur auf Sein was gibt.” Kein Herausgeknödel wie so oft, stattdessen deutliche Worte, ein Teppich aus Streichern und Piano. Ach ja, und zwei Chöre, Kinder und Erwachsene, die das Lied zu einem emotionalen Höhepunkt tragen, in den Grönemeyer schließlich doch noch etwas Inbrunst legt – aber das fällt kaum mehr ins Gewicht.

Zur Verabschiedung ein knappes „Danke, danke”, dann ist Grönemeyer wieder weg, die Generalprobe vorüber. Ein kurzer Moment, den keiner der Gäste so schnell vergessen wird. Wegen der überwältigenden Kulisse, wegen der bewegenden Bilder auf der Bühne und vielleicht auch wegen des längst aus den Zehen geschwundenen Restgefühls.