Washington. Der amerikanische Präsident Barack Obama schickt weitere zehntausende Soldaten nach Afghanistan. Die Amerikaner allerdings sind kriegsmüde geworden. Die Entscheidung des US-Präsidenten, die Truppen am Hindukusch massiv aufzustocken, wird Amerika zutiefst aufwühlen.

Kriege werden nicht nur auf dem Schlachtfeld gewonnen. Der Vietnam-Feldzug wurde für die USA auch deshalb zum Desaster, weil das Land keinen Sinn mehr darin sah, die eigenen Jungs im undurchdringlichen Dschungel Südostasiens zu verheizen. Die Ziele dieses Krieges waren im Verlauf des mörderischen Schlachtens abhanden gekommen. Ein Stück weit droht sich die Tragödie nun in Afghanistan zu wiederholen.

Die Entscheidung des US-Präsidenten, die Truppen am Hindukusch massiv aufzustocken, wird Amerika zutiefst aufwühlen. Viel wird davon abhängen, wie Obama in den nächsten Tagen über die Fernsehansprache hinaus seine Landsleute auf die Eskalation dieses Krieges einstimmt, den der Präsident noch im Frühjahr – im Unterschied zum Irak-Feldzug – im Brustton der Überzeugung als notwendigen und gerechtfertigten Krieg bezeichnen konnte. Seither ist die Stimmung freilich dramatisch gekippt.

Dass Monat für Monat immer mehr Särge mit der gefalteten US-Flagge aus den Truppentransportern gerollt werden, strapaziert die Seele Amerikas auf das Äußerste. Auch dies hat Obamas Entscheidungsfindung neben den komplexen militärischen Fragen so quälend lang gestaltet.

Künftig fast 100 000 US-Soldaten

Niemand wird ihm vorwerfen, sich die Entscheidung, die US-Truppen von zur Zeit 68 000 Mann auf künftig knapp 100 000 Soldaten aufzustocken, leicht gemacht zu haben. Angetreten als Friedenspräsident muss Obama nun die dramatische Ausweitung des Krieges verantworten. Es ist ein Zufall des Kalenders, dass der Feldherr Obama in wenigen Tagen in Oslo im festlichen Rahmen den diesjährigen Friedensnobelpreis entgegennehmen wird.

Dass dies nicht zusammen passt, ist keine Frage, aber kaum Obamas Schuld. In seinem gelegentlichen Hang zu unpassender Lässigkeit hat der Präsident versprochen, den „Job” am Hindukusch zu Ende zu bringen. Sich überhastet zurück zu ziehen, das Land den Taliban und ihren alliierten Terrorfreunden zum Fraß vorzuwerfen und die Atommacht Pakistan in den Strudel der afghanischen Wirren rutschen zu lassen, wäre in der Tat keine Alternative gewesen.

Doch mehr denn je muss Barack Obama im mittlerweile neunten Jahr des Krieges eine zeitlich belastbare Rückzugsperspektive aufzeigen, ohne dabei die auftrumpfenden Taliban noch weiter zu ermutigen. Ohne eine glaubwürdige „Exit Strategie” wird das kriegsmüde Amerika die Kosten dieses Krieges nicht mehr lange tragen wollen. Schon jetzt steht Obama unter wachsendem Druck seiner eigenen Partei, die dem Präsidenten mit Blick auf Afghanistan nur noch hörbar murrend und zunehmend widerstrebend folgt.

Es geht um das Leben junger Menschen, aber auch um die finanziellen Kosten. Seinen Kriegshaushalt durch das Parlament zu bekommen, wird für Obama alles andere als ein Selbstläufer. Im Kongress formiert sich Widerstand vor allem im eigenen Lager. Viele seiner einstigen Unterstützer sehen längst mit Entsetzen, welche Schuldenberge die USA unter Obama anhäufen.

Kriege werden nicht nur auf dem Schlachtfeld, sondern vor allem auch daheim gewonnen. Die beschlossene Entsendung weiterer zehntausender junger Männer und Frauen in die Hölle Afghanistans wird für Obama zur riskanten Zerreißprobe an der Heimatfront.