Essen. Nicht nur die USA und China, sondern auch Deutschland müsse seine Energieversorgung umkrempeln, sagt Klaus Töpfer (CDU). Der frühere Bundesumweltminister über die Klimakrise und die Chance einer Gesellschaft, sich neu zu erfinden.
Herr Töpfer, der Berater der Kanzlerin, Hans Joachim Schellnhuber, hat einmal in einem Interview gesagt: Ich verachte Politiker, wenn sie nichts gegen den drohenden Klimawandel tun, obwohl sie es besser wissen müssten. Macht Sie das betroffen?
Ich weiß nicht, ob solche Zuspitzungen hilfreich sind. Wir alle, und damit auch die Politik, sind verpflichtet, die dramatischen Hinweise aus der Wissenschaft, die wir nicht mehr verleugnen können, zum Handeln zu nutzen.
Aber es gibt Stimmen, die eine Notwendigkeit des Handelns bezweifeln.
Nichthandeln und Resignation wären die absolut falschen Konsequenzen. Die Energieversorgung effizienter kohlenstoffärmer zu machen, ist in allen Fällen richtig. Nur so kann eine Welt mit demnächst neun Milliarden Menschen die Energie bekommen, die sie braucht. Wenn wir nur auf Kohle, Öl oder Gas setzen, wird es mit Sicherheit keine friedliche Welt sein, weil es Verteilungskämpfe und massive Preissteigerungen geben wird.
Es sieht momentan nicht so aus, als ob in Kopenhagen ein neues Abkommen fertig ausgehandelt werden kann. Ist es für da noch von Bedeutung, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel teilnimmt?
Mehr denn je ist es notwendig, dass die Kanzlerin zur Konferenz fährt und dass möglichst viele Staats- und Regierungschefs anwesend sind. In Kopenhagen müssen am Ende die zentralen Punkte im künftigen Klimaschutz auf dem Verhandlungstisch liegen und so fixiert werden, dass sie in einer rechtlich bindenden Vereinbarung festgeschrieben werden können. Es darf nicht wieder nur ein Hoffnungsschimmer auf das nächste Treffen fallen.
Wann ist für sie der Klimagipfel gescheitert?
Kopenhagen kann nicht scheitern. Es wäre nicht zu verantworten. Die ganze Welt hat dies endlich erkannt.
Was sollte in einem neuen Abkommen stehen?
Wir müssen uns darauf festlegen, dass die Erwärmung der Erde nicht weiter als um zwei Grad Celsius ansteigen darf. Dieser Beschluss ist noch längst nicht in trockenen Tüchern. Die Industrieländer müssen sich dafür klar und verbindlich verpflichten, ihre CO2-Emissionen deutlich zu vermindern. Im Schnitt aller entwickelten Länder muss diese Einsparung bis zum Jahr 2020 bei 20 bis 30 Prozent liegen. Diese Minderung kann wegen der besonderen Situation der USA derzeit nicht rechtlich verbindlich in einem völkerrechtlichen Vertrag festgeschrieben werden. Darüber hinaus müssen sich auch die Schwellenländer in Kopenhagen dazu verpflichten, den Anstieg ihrer Emissionen zumindest relativ zu vermindern, indem sie sich auf eine zunehmend höhere Energieeffizienz rechtlich verbindlich festlegen.
Die USA und China haben jüngst auf dem Asien-Gipfel die Hoffnung auf einen neuen Vertrag begraben. Wieso sind sie so zuversichtlich?
US-Präsident Barack Obama hat ja nicht gesagt, dass Klimaschutz nicht relevant sei. Ganz im Gegenteil. Das Gesetzgebungsverfahren für die Klimapolitik ist in den USA jedoch noch nicht abgeschlossen. Der Präsident ist jetzt erst etwa ein Jahr im Amt, und wenn Sie sehen, welche Kehrtwende die amerikanische Klimapolitik genommen hat, dann lässt mich das nicht nur blauäugig hoffen. Es sind klare Fakten, die mich überzeugen. Klimaschutz und Sicherheit der Energieversorgung erzwingen diese Kehrtwende in den USA.
Sie beraten die chinesische Regierung in Sachen Nachhaltigkeit, lehren an einer Universität in Shanghai. Was antworten Sie, wenn ein chinesischer Student sie fragt: Warum fordern die Industrieländer von uns Verzicht, wo sie doch selber auf Kosten der Umwelt reich geworden sind?
In der Tat haben wir unseren wirtschaftlichen Wohlstand auch dadurch subventioniert, indem wir kostenlos CO2 in die Atmosphäre gepumpt haben. Jetzt auf einmal merken wir, dass die Atmosphäre reagiert. Deswegen antworte ich dem Studenten: Klimaschutz ist auch in Eurem eigenen Interesse. Damit ist wirtschaftliches Wachstum machbar, ohne dass die Gletscher im Himalaja weiter abschmelzen und so die Wasserversorgung Chinas und in der Folge die wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilität noch stärker gefährdet werden.
Ist China der rücksichtslose Umweltverschmutzer und Ressourcenverschwender, wie er oftmals im Westen dargestellt wird?
Globaler Umweltpolitiker
Kürzlich in China, jetzt frisch aus Moskau zurück:
Der Rat von Klaus Töpfer in Sachen Nachhaltigkeit ist weltweit gefragt, auch wenn dies den 72-Jährigen zu Klimasünden zwingt: Er fliegt um die Welt. Der Volkswirt und Professor für Raumplanung war Umwelt- und Bauminister sowie oberster Umweltschützer der UN. Heute berät er Deutschland und China in nachhaltiger Entwicklung. Seit 2008 ist er Vizepräsident der Welthungerhilfe. Außerdem ist er Gründungsdirektor des Instituts für Klimawandel, Erdsystem und Nachhaltigkeit. Töpfer lebt im ostwestfälischen Höxter.
Die chinesische Regierung hat die Notwendigkeit erkannt, Alternativen zu fossilen Energieträgern zu nutzen, die nicht die Luft mit CO2, Schwefel oder Stickoxiden verpesten, die teurer werden und deren Beschaffung zunehmend Spannungen in der Welt auslösen. Ich sehe in China mit großer Deutlichkeit, dass dies nicht nur Sprechblasen sind. Die Windenergie-Kapazität verdoppelt sich pro Jahr. China ist inzwischen das Land mit der höchsten Produktion von Solarenergie-Technik. Das ist Eigeninteresse, und es ist die Erkenntnis, dass man selbst Opfer des Klimawandels wäre.
Sie haben lange in Kenia gelebt. Was denken die Menschen in Afrika, wenn sie um Geld für die Anpassung an den Klimawandel betteln müssen, die Industrieländer aber mit konkreten Zusagen geizen?
Wir müssen verstehen: Es sind keine Almosen für Ärmsten der Armen, es ist die Bezahlung für die Schäden, die wir durch unser Verhalten verursacht haben. Die EU-Staaten haben diese Verpflichtung akzeptiert. Doch es ist bedauerlich, dass bislang keine konkrete Zahl für den EU-Anteil genannt wurde. In Kopenhagen muss festgeschrieben werden, dass arme Länder für die Anpassung an den Klimawandel die Technologien und die erforderlichen finanziellen Unterstützungen erhalten. Pro Jahr darf diese Gesamtsumme nicht wesentlich unter 100 Milliarden Euro liegen. So können auch Wälder und die Landnutzung so erhalten werden, dass sie möglichst viel CO2 aufnehmen können.
In den Industrieländern wird nun von der großen Transformation gesprochen, vom ökologischen Umbau der Gesellschaft. Glauben Sie daran, dass wir uns neu erfinden können?
Glauben ist vielleicht der falsche Begriff. Ich frage mich: Welche vernünftigen Gründe sprechen dafür? Deutschland ist arm an fossilen Energien, wir haben noch etwas Braunkohle, allerdings auch das gewaltige CO2-Problem bei ihrer Nutzung. Deswegen sind wir dazu verpflichtet, erneuerbare Energien zu nutzen, um die Versorgung sicherzustellen. Außerdem müssen wir Technologien erforschen, die fossile Energien ohne CO2-Emissionen nutzbar werden lassen. Ich sehe mit großer Freude, dass immer mehr Dörfer und Kleinstädte energieautark werden. Dass immer mehr Menschen in Deutschland ihre Stromverträge ändern und klimafreundlichen Strom kaufen. Neben den ökonomischen Zwängen zeugt das von der Einsicht der Menschen, dass eine Änderung des Verhaltens und der Inanspruchnahme der Natur dringlich notwendig ist. Die Transformation wird sich nicht mit einem Knall vollziehen, aber sie kann schneller gehen, als sich manch einer derzeit vorstellt.
Dennoch überrollt die Finanzkrise das Klimaproblem. Weltweit werden Billionen Dollar an Staatshilfen ausgegeben, um die Wirtschaft anzukurbeln. Die wenigsten Konjunkturpakete sind ökologisch ausgerichtet.
Es trifft zu, dass nicht jeder erkannt hat, dass beide Krisen gemeinsam gelöst werden müssen. In unseren Konjunkturprogrammen sind die Anteile der Maßnahmen, die beiden Herausforderungen gerecht werden, zu klein. Wir brauchen mehr Zuschüsse für Wärmedämmung, mehr Energiesparpakete für Häuser und Gebäude, mehr Unterstützung bei der Erneuerung von Heizungen. Wir müssen ein intelligentes Stromnetz aufbauen, in das der Strom erneuerbarer Energieträger viel besser eingespeist werden kann. Speicherung und Transport von Energie sind Wachstumsmärkte.
Die neue Bundesregierung setzt dennoch auf eine alte Technologie, indem sie die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängert. Treibt man den Teufel mit dem Beelzebub aus?
Sie setzt ja nicht darauf, sondern sieht die Atomenergie als Brückentechnologie. Ich fordere aus fester Überzeugung: Wer von Brückentechnologie spricht, muss schnellstmöglich sagen, wo diese Brücke endet, wo und wie der Pfeiler gebaut wird, auf dem diese Brücke aufsetzt.
Norbert Röttgen, der neue Bundesumweltminister, eilt der Ruf voraus, ein Neoliberaler zu sein. Was wünschen Sie ihm?
Ich halte nichts von solchen Marken, die ihm da angeklebt werden. Wir sollten Herrn Röttgen Glück wünschen dafür, dass er in den internationalen Klimaverhandlungen gemeinsam mit der Kanzlerin die Ergebnisse vorantreiben kann. Ich wünsche mir, dass er in Deutschland eine grundlegende Änderung der Energieversorgung ermöglicht, indem die fossilen Energien massiv zurückgeführt werden und dass wir ein Beispielland für erneuerbare Energien bleiben. Ich bin mir sicher: Dann werden wir die Arbeitsplätze der Zukunft bei uns entstehen sehen.