Berlin. Zum Festakt aus Anlass des 60-jährigen Bestehens des Deutschen Gewerkschaftsbundes kommt auch der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle. Für Michael Sommer, Chef des DGB, ist es ein „politisches Zeichen". Aber: Inhaltlich gebe es kaum Schnittpunkte zwischen Gewerkschaft und FDP, so Sommer.

60 Jahre DGB und der Start der schwarz-gelben Koalitionsverhandlungen an einem Tag. Beziehungsreicher Zufall?

Michael Sommer: In der Geschichte der Bundesrepublik und des DGB gab es immer ein Auf und Ab. Wir haben Schwarz-Gelb nicht gewollt. Aber wir akzeptieren das Ergebnis demokratischer Wahlen und werden mit jeder Regierung konstruktiv zusammenarbeiten, auch mit dieser.

Haben Sie seit der Wahl mit Guido Westerwelle telefoniert?

Sommer: Ja. Er hat gesagt, er freut sich über die Einladung zum Festakt. Ich habe ihm gesagt, dass einige beim DGB pikiert gucken werden heute. Aber das war ja nicht anders, als ich die FDP besucht habe.

Wenn Sie dem Koalitionsvertrag von Union und FDP eine Überschrift geben müssten, wie würde sie lauten?

Sommer: Allen Menschen helfen, nicht nur den Reichen! Frau Merkel ist gut beraten, an die letzten Monate der großen Koalition anzuknüpfen. Diese gute Arbeit muss fortgeführt werden. Man kann es aber auch leicht kaputtmachen.

Was verbindet Sie mit der FDP?

Sommer: Bis auf den Teil der liberalen Bürger- und Freiheitsrechte im Wahlprogramm trennt uns so ziemlich alles. Wir halten die Steuersenkungsverheißungen für fatal, weil sie zu einem armen Staat und zur Umverteilung von unten nach oben führen. Tarifautonomie, Mitbestimmung, soziale Sicherungssysteme, Mindestlöhne – wenn sich die FDP da überall durchsetzen würde, wäre das wirklich der Weg in eine andere Republik.

Das wird den Liberalen aber nicht gelingen, das wissen Sie doch.

Sommer: Die FDP wird es mit diesem Wahlergebnis im Rücken ganz sicher versuchen. Darum tun wir alles, um die Flanke in der Union zu stärken, die eine soziale Balance will.

Ist das denn nötig? NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers versucht sich als Neo-Arbeiterführer und schließt Zumutungen aus.

Sommer: Der Titel Arbeiterführer bleibt ausschließlich Interessenvertretern der Arbeitnehmerschaft vorbehalten. Aber es stimmt schon, NRW-Arbeits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann hat sich immer wieder für die Interessen der Beschäftigten eingesetzt.

Das müsste Sie doch gelassen stimmen.

Sommer: Nein. Ich kann das tatsächliche Kräfteverhältnis in der Union, zwischen dem Wirtschaftsflügel, der erschreckend große Schnittmengen zur neoliberalen FDP-Politik hat, und dem Arbeitnehmerflügel, nicht wirklich einschätzen. Das werden spannende Verhandlungen.

Können Sie Einfluss nehmen?

Sommer: Ja, ich denke schon. Außerdem gehe ich davon aus, dass die Kanzlerin mit uns wie mit den Wirtschaftsverbänden rechtzeitig das Gespräch suchen wird – vor Unterzeichnung des Koalitionsvertrages.

Noch mal zurück zur FDP: Aufstockung des Schonvermögens bei Hartz-IV-Beziehern, steuerliche Entlastung von Familien mit Kindern - ist die FDP denn nicht hinreichend sozial?

Sommer: Wie glaubwürdig ist das denn? Wer in Hartz IV steckt, ist doch schon arm. Das ist doch keine aktive Sozialpolitik.

Sondern?

Sommer: Ich würde mich freuen, wenn ich mich irre. Aber wir müssen ab Winter mit einer Verschärfung am Arbeitsmarkt rechnen. Wir brauchen darum zusätzliche Existenzbrücken für diese Menschen – und zwar oberhalb von Hartz IV.

Wie soll das finanziert werden?

Sommer: Das Überbrückungsgeld soll aus Beiträgen der Bundesagentur und Steuergeldern, etwa einer Reichensteuer finanziert werden. Steuergeschenke dagegen sind zynisch und falsch, wenn die reale Gefahr besteht, dass Menschen ihren Job verlieren und gar keine Steuern mehr zahlen können.

Wie weit wird der DGB gehen, wenn die neue Merkel-Regierung die soziale Balance nicht herstellt, wenn der Sozialstaat einem Kassensturz unterworfen wird?

Sommer: Ich mache jetzt keine Ankündigungen. Aber: Eine von uns für falsch gehaltene Politik werden wir nie akzeptieren. Und da gibt es geeignete Mittel, dass zum Ausdruck zu bringen.

Im Frühjahr sind Sie schwer gescholten worden, als Sie im Zuge der Finanzkrise soziale Unruhen befürchteten. Die sind bislang ausgeblieben. Hat Verdi-Chef Frank Bsirske, Recht, wenn er jetzt eine enorme soziale Zuspitzung vorhersagt und fordert, es sei Zeit „aufzustehen”.

Sommer: Das FDP-Programm zielt ganz klar auf eine Zuspitzung der sozialen Auseinandersetzungen, da hat Frank Bsirske Recht. Aber man muss abwarten, wie sich die Koalition verhält, was sie beschließen. „Aufstehen” heißt im übrigen nicht politischer Streik – sondern Wahrnehmung demokratischer Rechte.

Linkspartei-Chef Oskar Lafontaine wünscht sich Generalstreiks nach französischem Vorbild. Sie nicht?

Sommer: Es ist nicht an Herrn Lafontaine dies zu fordern. Wir Gewerkschaften entscheiden, wann wir was tun. Wir können immer beides. Wir können verhandeln und demonstrieren. Wir können betriebliche Bündnisse schließen und streiken. Streiks sind für uns Mittel der tarifrechtlichen Auseinandersetzung.