Köln. Stürmer sind in Deutschland trotz des Stolzes auf die internationale Klasse im Spitzensegment noch immer rar. Deshalb ist die Diskussion über den Sturm der Nationalmannschaft absurd.

Es war Anfang Juni, als Mario Gomez noch immer im Zentrum eines Sturmes stand, der sich in phänomenaler Weise begrenzt austobte. Dieser Sturm widmete seine Kraft einem einzigen Menschen, Gomez, und er war hartnäckig. Aus der Schweiz und Österreich, wo im Sommer 2008 die EM gespielt wurde, reiste er über diverse Stationen der Nationalmannschaft mit bis in die Vereinigten Arabischen Emirate, nach Dubai, und auf diesem weiten Weg ist er stärker und stärker geworden, weil Gomez, sein Opfer, einfach kein Tor mehr gelingen wollte. Am Ende wurden die Minuten seiner Erfolglosigkeit gezählt, und es waren mehr als 800, als der Stürmer dann im Juni mit vier Treffern beim 7:2-Sieg gegen die Araber seine Flaute beendete und ein weiteres Phänomen zu beobachten war, zwar ein bekanntes, aber ein doch noch erstaunliches: Ist die Flaute des Stürmers vorbei, verwandelt sich der Sturm der veröffentlichten Meinung sofort in ein sanft umschmeichelndes Lüftchen.

Gomez darf sich als Stürmer Nummer eins fühlen

Das ist natürlich angenehmer für Mario Gomez. Im Moment, Anfang September, darf er sich als Stürmer Nummer eins der Nationalmannschaft fühlen, als einer, für den Joachim Löw nicht mehr in die Bütt steigen muss, um in trotziger Rede zu verkünden, dass „der Mario weiterhin unser absolutes Vertrauen genießt”. Erspart bleibt dem Bundestrainer der Auftritt in der Bütt deshalb nicht, und auch Gomez selbst, der zweimal für Bayern München getroffen hat und damit im Soll liegt, spürt mittlerweile, dass ein gutes Wort für die bisher torlosen Kollegen angebracht ist. In der Öffentlichkeit leben die Besserverdiener von genau dieser Stütze: „Jeder weiß, dass der Miro (Klose) wahnsinnig viel Qualität hat, jeder weiß, dass der Lukas (Podolski) wahnsinnig viel Qualität hat.”

Weil Gomez auch noch Cacau erwähnte, dürfte der Bundestrainer zufrieden gewesen sein. Vier Stürmer hat Löw für die Freundschaftspartie am Samstag in Leverkusen gegen Südafrika und das WM-Qualifikationsspiel am kommenden Mittwoch in Hannover gegen Aserbaidschan nominiert, alle wurden vom aktuell nicht in der Kritik stehenden Angreifer gewogen und nicht für zu leicht befunden. Noch viel satter zufrieden aber dürfte es den Bundestrainer gestimmt haben, dass Gomez ihm im Streitfall Stefan Kießling sekundierte: „Ich verstehe nicht, was die Diskussion soll. Am Ende muss doch der Trainer den Kopf hinhalten.”

Bei Misserfolg, meinte der 23-Jährige. Sollte sich ein solches Szenario ergeben, wird so sicher, wie auf die Nacht der Tag folgt, darüber gemosert werden, dass Löw nicht auf die Mahner gehört und auf die Nominierung des Leverkusener Vier-Tore-Stürmers Kießling verzichtet hat. Für diese Mahner und (späteren) Moserer ist es tatsächlich ein Glück, dass Kießling existiert. Gäbe es den Blonden und die wild ratternde Bayer-Vorbereitungsmaschine nicht, wäre niemand anzumahnen, und das Mosern müsste ausfallen.

Mainz, Freiburg, Nürnberg, Bochum, Hoffenheim, Frankfurt, Dortmund, Wolfsburg, die Hertha und der HSV haben keinen Stürmer im Sortiment, auf den Löw zurückgreifen könnte. Gladbach hat als Zentralstürmer den 36-jährigen Oliver Neuville anzubieten, Schalke den vom Bundestrainer suspendierten Kevin Kuranyi und den vom Verein noch nicht berücksichtigten Gerald Asamoah, Hannover den sogar im Klub in Vergessenheit geratenen Mike Hanke, Bremen vielleicht Marko Marin, der von Trainer Thomas Schaaf zuletzt in die Angriffsmitte versetzt wurde („Ja, ich kann das spielen”).

All diese Stürmer durften das nationale Trikot schon mit ihrem Schweiß tränken. Alle anderen, die Löw, der bedauerlicherweise allein über die Deutschen herrscht, einsetzen kann, setzt er ein. Ausnahmen: Kießling und sein langzeitverletzter Vereinskollege Patrick Helmes. Wie wenig belebt das Auge des Sturms hierzulande ist, hat auch Horst Hrubesch bei der U 21-EM erfahren. Der Trainer hat den Titel quasi ohne Mittelstürmer für die Natiobn eingeheimst. Erst im Finale brachte er Sandro Wagner auf den Rasen. Der Mittelstürmer des Zweitligisten MSV Duisburg dürfte aber noch nicht im Sichtfeld des Bundestrainers aufgetaucht sein. Der verfügt ja über ein Personal internationaler Güteklasse, über ein kleines, elitäres Grüppchen. Weil es so klein ist, muss er sich um jedes Mitglied sorgen. Lässt Trainer Louis van Gaal die Bayern zukünftig im 4-3-3-System auflaufen, kann es passieren, dass Klose keine Spielpraxis mehr erhält. Und dann drohen Löw über den Daumen 20 Prozent seines aktuell möglichen Personalstandes einfach wegzubrechen. Gomez hat ihn aber auch in dieser Hinsicht beruhigt: „Es ist überhaupt nicht sicher, dass wir 4-3-3 spielen werden.”