Essen/Oberhausen. Wer kein Eiweiß verträgt, darf nicht geimpft werden? Quatsch! Wir haben mit einem Experten gesprochen und räumen mit zehn populären Irrtümern auf.

Ein Fünftel der Deutschen leidet unter Allergien. Vermeintlich gute Tipps und Abhilfen haben aber noch viel mehr Menschen auf Lager. Viele davon halten einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht stand. Prof. Alexander Kreuter, Chefarzt der Klinik für Dermatologie, Venerologie und Allergologie am Helios St. Elisabeth Krankenhaus Oberhausen, erklärt, welche Thesen stimmen und welche Betroffene getrost vergessen können.

1) Der Labradoodle ist ein Allergikerhund? Leider nein.

Ein Züchter in Australien soll vor über 20 Jahren damit begonnen haben, einen Hund zu züchten, der wie der Labrador vom Wesen her als Blindenhund geeignet ist, aber ein Fell hat, das auch für Allergiker verträglich ist: den Labradoodle. Da die Tiere keinen Fellwechsel haben, haaren sie weniger als andere Hunde und können bei Bedarf geschoren werden. Dieser Mix aus Labbi und Pudel wird längst auch in Europa gezüchtet. Labradoodle sind häufig Hunde mit freundlichem Wesen, die putzig aussehen. Beweise für das "hyperallergene Fell" gibt es jedoch leider nicht, der Labradoodle wird seinem Ruf hier leider nicht gerecht.

Vielmehr vermuten Experten, dass nicht die Tierhaare selbst, sondern andere Ausdünstungen der Tieres allergische Reaktionen hervorrufen. "Den Tierhaarallergiker" gibt es demnach gar nicht, sondern nur Menschen, die auf einige Hunde oder Katzen reagieren, auf andere nicht.

2) Geschwisterkinder werden unnötig vor Allergenen geschützt? Nun ja....

Es gibt eine Studie einer Kinderklinik in Chicago, die dokumentiert, dass nur knapp 14 Prozent der getesteten Kinder auf gleiche Lebensmittel reagierten wie Bruder und Schwester. An der Untersuchung nahmen 1120 Kinder teil. Ein prophylaktischer Test von Geschwisterkindern sei überflüsslig. Die Erfahrung von Ärzten in Deutschland sieht jedoch anders aus:

"Vom klinischen Alltag kenne ich das gut", berichtet Prof. Kreuter. "Leidet ein Familienmitglied unter einer Allergie, sind häufig auch Geschwister oder die Eltern betroffen." Typische Zeichen einer Allergie sind übrigens unter anderem Asthma, Bindehautentzündungen und die Neurodermitis.

3) Lebensmitteltechnik: Es gibt guten Ersatz für Muttermilch? Falsch!

Mutter stillt Baby
Mutter stillt Baby © Patrick Pleul, dpa

Kreuter zitiert hier die AWMF, die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften: Stillen gilt als Allergieprävention. Auch Hebammen bestätigen dies. Im Fachbuch "Das Neugeborene in der Hebammenpraxis", erschienen in einer Reihe des Bundes Deutscher Hebammen, heißt es: "Die wichtigste Empfehlung für Mütter allergiegefährdeter Kinder ist, mindestens vier, besser sechs bis acht Monate voll zu stillen."

4) Honig hilft bei Heuschnupfen? Vermutlich nicht.

Es klingt so logisch. Burkhard Lücking, Vorsitzender der Ruhrstadt-Imker in Bochum glaubt an die positive Wirkung von heimischen Honig. Denn eine Allergie sei schließlich nichts anderes, als eine starke Reaktion des Immunsystems, ein Alarmmechanismus. Es sei aber in vielen Fällen möglich, das Immunsystem zu desensibilisieren - zum Beispiel mit Honig von Bienen aus der Region. Weil sich im Honig eben auch Pollen finden, könne es sinnvoll sein, bereits im Winter regelmäßig Honig von einem Imker aus der Nachbarschaft zu essen.

Honigbienen bei der Arbeit
Honigbienen bei der Arbeit

Prof. Kreuter hingegen ist kein medizinischer Beweis dieser Theorie bekannt. Desensibilisierung findet der Allergologe zwar auch wichtig bei der Behandlung von Allergien, er setzt aber doch auf die Schulmedizin, die gezielt und mit genauen Dosen arbeitet. Dass Honig aber prinzipiell sehr gesund und in der historischen Medizin schon als Heilmittel auch in der Wundversorgung bekannt war, findet auch der Mediziner.

5) Gluten-Verzicht ist empfehlenswert? Quatsch!

Glutenfreie Ware helfen nur 0,3 Prozent der Bevölkerung
Glutenfreie Ware helfen nur 0,3 Prozent der Bevölkerung © Peter Endig dpa

Gluten ist ein Klebeeiweis, das in vielen Gretreidesorten vorkommt. Verträgt ein Mensch Gluten nicht, spricht die Medizin von Zöliakie. Daran leiden gerade einmal 0,3 Prozent der Deutschen. Es handelt sich um ein klares Krankheitsbild, ein bisschen Unverträglichkeit von Gluten gibt es nicht. Deshalb überrascht es eigentlich, dass so viele Lebensmittel als "glutenfrei" beworben werden. E ist nicht per sé gesünder sich glutenfrei zu ernähren. Symptome einer echten Zöliakie können derweil Verdauungsbeschwerden, Kopfschmerzen und Übelkeit sein.

6) Allergene sollten gemieden werden? Nicht unbedingt.

Eine Allergie gegen Erdnüsse ist weit verbreitet, viele Menschen vertagen diese Nuss nicht. Genauso verbreitet wie die Unverträglichkeit, ist aber auch die Erdnuss. Viele Lebensmittel "können Spuren" davon enthalten. Prof. Kreuter rät von einem kompletten Vermeiden und somit einem großen Einschränken jedoch ab: "Eine Konfrontation mit dem Allergen kann sogar sinnvoll sein."

Prof. Alexander Kreuter  ist Chefarzt der Dermatologie am Elisabeth Krankenhaus Oberhausen.
Prof. Alexander Kreuter ist Chefarzt der Dermatologie am Elisabeth Krankenhaus Oberhausen. © Helios Kliniken

7) Impfen ist für Eiweiß-Allergiker gefährlich? Mitnichten!

Eiweiß-Unverträglichkeit ist kein Grund nicht zu Impfen
Eiweiß-Unverträglichkeit ist kein Grund nicht zu Impfen © Armin Weigel/dpa

Es gibt in der Tat zahlreiche Impfstoffe, die auf Hühner-Eiweiß gezogen werden. Dazu gehören die Mumps-Masern-Röteln-Impfung, Tollwut, und auch FSME (die Frühsommer-Meningoenzephalitis). Befürchten Patienten oder deren Eltern Reaktionen bei Kontakt mit Hühner-Eiweiß, empfehlen Mediziner nach einer Impfung zwei Stunden in der Praxis zu bleiben, um Reaktionen zu beobachten und gegebenenfalls zu behandeln. Ist eine Reaktion bei einer Impfung zu erwarten, rät der Allergologe Prof. Kreuter, die Impfung direkt in einer Klinik vornehmen zu lassen. Ein Grund gegen das Impfen sei eine Eiweiß-Allergie in keinem Fall, im Gegenteil: "Das ist brandgefährlich!"

8) Früher gab es nicht so viele Allergien? Naja....

Die Frage ist, wann war eigentlich früher und auch: wo? Was komisch klingt, hat einen wissenschaftlichen Hintergrund. Es gibt medizinische Beweise, dass in der DDR weniger Menschen an Allergien litten, die Zahl aber nach der Wiedervereinigung stetig stieg. Prof. Kreuter vermutet dahinter, dass die Menschen in der DDR anderen Umweltfaktoren und Schadstoffen ausgesetzt waren als ihre westdeutschen Nachbarn. Es wird außerdem berichtet, dass wir heute viele Krankheiten in den Griff bekommen haben, beziehungsweise behandeln können, so dass das Immunsystem sich Allergien - platt gesagt - aus Langeweile aneignet.

9) Mit Medikamenten kommt der Allergiker durchs Jahr? Naheliegend, aber: falsch!

Die Spezialisten in der Hautklinik warnen davor, Symptome von Allergien mit der Chemiekeule wie Ceterizin oder Kortison zu behandeln. Zum einen kann sich der Körper an die Stoffe gewöhnen und diese verlieren an Wirkkraft. Auch können Nebenwirkungen gefährlich werden. Es gibt inzwischen auch Medikamente ohne Kortison und alternative Behandlungsmöglichkeiten von Allergien.

Dazu zählen Desensibiliserungen, aber auch Akupunktur kann Linderung verschaffen. Nicht zu unterschätzen ist zudem eine umfassende Diagnostik. So können Hautausschläge mit einer Erkrankung des Darms oder der psychischen Verfassung zusammen hängen. Wird hier etwas gefunden und behandelt, sind oft auch Allergien in den Griff zu bekommen.

10) Allergien lassen sich im Blut nachweisen? Zu kurz gedacht.

Es ist möglich die Antikörper im Blut mit einem IgE-Test festzustellen. In Kombination mit einem Haut-("Prick"-)Test kann das genaueren Aufschluss über mögliche Allergene geben. Eine spezifische Menge Antikörper im Blut kann einen Verdacht aus dem Hauttest bestätigen.

Pricktest zur Diagnose Birgit Schweizer / WAZ FotoPool
Pricktest zur Diagnose Birgit Schweizer / WAZ FotoPool © Birgit Schweizer / WAZ FotoPool

Der Test kann aber auch schlicht nur zeigen, dass eine Sensibilisierung auf gewisse Stoffe vorliegt - ganz ohne Konsequenzen. Deshalb warnen Mediziner davor, eine Diagnose und möglicherweise Einschränkungen in der Ernährung nur auf diesen Test zu stützen.