Essen. Anja Sturm, Verteidigerin von Beate Zschäpe, verlässt ihre Berliner Kanzlei. Dort hatte es wegen des Mandats im NSU-Prozess rumort. Man sorgte sich um den guten Ruf bei Mandanten mit türkischen Wurzeln. Sturm sagte in einem Interview, sie habe sich von ihrer Kanzlei allein gelassen gefühlt.
„Die Wut halte ich locker aus!“ betitelte die Frauenzeitschrift „Brigitte“ noch im Frühjahr ihre Story über die Berliner Rechtsanwältin Anja Sturm. Doch nun hat die taffe Verteidigerin von „Deutschlands meistgehasster Angeklagten“ Beate Zschäpe eine andere gegen sie gerichtete Stimmung nicht länger ertragen mögen. Anja Sturm verlässt ihre Berliner Kanzlei, weil es dort rumorte, seit sie im NSU-Prozess verteidigte. Die Kanzlei Weimann & Meyer sorgte sich um ihren Ruf bei Mandanten mit türkischen Wurzeln.
Am liebsten möchte sie zu dem Thema gar nichts mehr sagen. Sie ist schon wieder in München, beim Prozess. Seit Wochen und Monaten lebt sie genau so. Montags hin, Donnerstagabend zurück zur Familie, zu den beiden Kindern. Und nun muss sie parallel sogar noch umziehen. Nach Köln, wo sie als Partnerin in die Kanzlei von Wolfgang Heer einsteigen wird. Heer, der als erster Anwalt des Trios Heer, Stahl und Sturm die Verteidigung Zschäpes übernommen hat.
Auf eigenen Wunsch, aber nicht wirklich freiwillig
Nur etwas mehr als ein Jahr hat die 43-jährige Anja Sturm in der Berliner Kanzlei gearbeitet. Sie verlässt sie auf eigenen Wunsch, aber nicht wirklich freiwillig. Obwohl bekannt ist, dass Sturm keinerlei Nähe zur rechtsradikalen Szene hat, geschweige denn Sympathie für diese hegt, war sie Anfeindungen ausgesetzt. Von der eigenen Kanzlei habe sie sich „allein gelassen gefühlt“, wie die Juristin es gegenüber dem Berliner „Tagesspiegel“ formulierte.
Bereits im Januar, als Sturm vergeblich für den Vorstand der Vereinigung Berliner Strafverteidiger kandidierte, musste sie erfahren, was es in der eher links geprägten Juristenszene der Hauptstadt bedeutet, ein Mandat für eine rechtsradikale Angeklagte anzunehmen. „Dass man angefeindet wird bei einem Prozess wie diesem, dass es Spinner gibt, die Briefe schreiben, damit rechnet man. Aber ich war auch verwundert, dass ihr Kollegen gesagt haben, so etwas mache man nicht!“, sagt Sturms Verteidiger-Kollege Wolfgang Stahl.
Wer mit sich mit Anja Sturm unterhält, erlebt eine erfahrene, eine leidenschaftliche Strafrechtlerin, die nur auf den ersten Blick etwas kühl erscheint. Das kurze, blonde Haar, der rote Lippenstift, ihr korrekter Business-Look, all das mag den Eindruck erwecken. „Es ist meine Stärke, einen guten Draht zu den Menschen herstellen zu können“, hatte sie kurz vor dem Prozess betont. Und so wirkt es auch stimmig, wenn es nun heißt, Sturm habe die Kanzlei verlassen, weil sie keinen Konflikt mochte.
Verteidigung im NSU-Prozess als "Killermandat"
In der Kanzlei Weimann & Meyer hält man sich in diesen Tagen lieber bedeckt. In einer Erklärung, die als gemeinsame mit Sturm angekündigt wird, dann jedoch nur von Weimann und Meyer unterschrieben wird, heißt es: „Die Kanzlei hat die Kollegin Anja Sturm auch nicht wegen der Übernahme des Mandates Zschäpe kritisiert geschweige denn angefeindet“. Gegenüber Berliner Journalisten hatte Weimann von der Belastung gesprochen „immer wieder für ein Mandat rechtfertigen zu müssen, dass man persönlich nicht führt und vor allen Dingen selbst niemals angenommen hätte“.
Rechtsradikale Täter, acht türkische, ein griechisches Opfer. „Mit so einem Mandat gewinnt man keinen Beliebtheitswettbewerb. Das wissen wir“, sagt Sturms Co Wolfgang Stahl. Und Jürgen Widder, Vorsitzender des Deutschen Anwaltsvereins in NRW, kritisiert: „Bestimmte Mandate können polarisieren, aber das Rechtsstaatsgebot gilt, und Beate Zschäpe hat ein Recht auf Verteidigung. Das darf man Frau Sturm nicht zum Vorwurf machen.“ Anja Sturm hat versucht, in Berlin eine neue Kanzlei zu finden. Vergeblich. Ein Kollege habe ihr sogar gesagt, die Verteidigung im NSU-Prozess sei für eine Kanzlei „ein Killermandat“.
Köln-München und zurück, heißt es also künftig für die in den USA geborene und in Jülich aufgewachsene Sturm. Und das noch ziemlich lange. Denn der Prozess dürfte weitere zwei Jahre dauern.