München. Der Mitangeklagte Holger G. schweigt im NSU-Prozess beharrlich. Mit Polizisten hatte er während der Ermittlungen gesprochen, doch was waren die genauen Aussagen, was hat er verschwiegen? Dass die Vernehmungen nicht protokolliert wurden, könnte für die Anklage gegen Beate Zschäpe zum Problem werden.
Was weiß der Angeklagte Holger G.? Was hat er wirklich ausgesagt, was verschweigt er womöglich noch? Diese Fragen rückten gestern ins Zentrum des NSU-Terrorprozesses gegen Beate Zschäpe und vier weitere Angeklagte vor dem Oberlandesgericht in München. Holger G., dem die Anklage Unterstützung einer Terroristischen Vereinigung vorwirft, steht derzeit unter Zeugenschutz durch das Bundeskriminalamt (BKA). Seine Aussagen vor anderthalb Jahren bei der Polizei belasten in dem Prozess mehrere der Angeklagten.
Allerdings verlas der 39-Jährige in der dritten Prozesswoche nur eine Erklärung zu seiner damaligen Aussage. Bis heute aber lässt er keine Nachfragen der Prozessbeteiligten zu den gemachten Angaben zu. Deshalb ist das Gericht derzeit gezwungen, sich die Aussagen des Holger G. nach den Vernehmungsprotokollen der Polizei zu erschließen.
Vernehmungen des Holger G. nicht wörtlich protokolliert
In der Vorwoche wurde daher ein BKA-Beamter über drei Tage als Zeuge vor Gericht befragt. Problematisch war, dass seine Vernehmungen zwischen November 2011 und März 2012 nicht wörtlich protokolliert wurden, so dass zumindest die Verteidigung Zweifel an der genauen Widergabe des damals von Holger G. gesagten äußert. So hatte der BKA-Beamte eingeräumt, dass nur bestimmte Formulierungen wörtlich aufgeschrieben wurden, zumeist dann, wenn diese den Vernehmern wichtig erschienen.
Bilder zum NSU-Prozess
Rechtsanwalt Olaf Klempke, einer der beiden Verteidiger des Jenaer Neonazis Ralf Wohlleben, sieht im Verwenden der Aussagen des Angeklagten G. vor Gericht sogar einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention. Die Prozessbeteiligten hätten bisher keine Möglichkeit, ihn zu seinen Angaben zu befragen. Anwalt Klempke sprach sogar von „konfrontativen Befragungen“, wie es bei normalen Zeugen der Fall ist. G. als Angeklagter darf sich aber einer Befragung komplett verweigern.
Holger G. verfolgt Debatte eifrig schreibend
Auch die Verteidigung von Beate Zschäpe untermauerte ihre Kritik am Zustandekommen der Aussagen von Holger G. Rechtsanwalt Wolfgang Heer widersprach der Verwendung der Aussagen aber nicht grundsätzlich. Er kritisierte zudem, dass der BKA-Vernehmer nicht kritisch nachgefragt habe. So seien Formulierungen wie „die Drei“ teils von den Polizisten übernommen worden, statt sich zu erkundigen, wen Holger G. gemeint habe. Der Verteidiger mutmaßte, dass die Aussagen des Angeklagten G. durchweg vom Erlangen einer Kronzeugenregelung geprägt seien.
Der 39-jährige G. verfolgte die Debatte über sein Verhalten zumeist mit gesenktem Kopf und eifrigem Schreiben von Notizen. Zu Beginn eines jeden Verhandlungstages tritt er mit einem A4-großem Schreibheft in den Gerichtssaal, das er sich vors Gericht hält, bis Kameras und Fotoapparate den Raum verlassen müssen.
Wohnung der Zschäpe genau beschrieben
Die Nebenkläger sehen durch die Aussage von Holger G. Angaben in der Anklage gestützt. Sein Aussageverhalten sei durchaus glaubhaft. Er habe erst Angaben gemacht, sich dann erinnert und die Angaben präzisiert. Da wo er sich selber belasten musste, habe er seine Aussagen auch komplett korrigiert oder vielleicht bis heute nicht alles gesagt, erklärte Nebenklageanwalt Mehmet Gürcan Daimagüler zum Ende des Verhandlungstages. Das sei aber normal.
So erklärte der BKA-Ermittler bereits in der Vorwoche, dass er der Angabe von Holger G. nicht glaube, dass er nur zwei Mal im NSU-Unterschlupf von Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos gewesen sei. Der G. habe die Wohnung dafür zu gut beschrieben und den Weg dorthin zu genau gekannt, meinte der Kriminalhauptkommissar.
Acht Schüsse auf Blumenverkäufer binnen Sekunden
Eine Auseinandersetzung im Münchner Schurgerichtssaal A101 spielte sich ab, nachdem zwei Gutachter deutlich erklärt hatten, wie eiskalt der 38-jährige Enver Simsek in Nürnberg ermordet worden war. Ein Rechtsmediziner schilderte detailliert, die fünf Kopfschüsse, die das Opfer am 9. September 2000 in den Mittagsstunden getroffen hatten. Einer davon war tödlich.
Nach Angaben eines Waffenexperten des bayerischen Landeskriminalamtes (LKA) dauerte es nur zehn bis 15 Sekunden, bis alle acht Schüsse auf den Blumenhändler in seinem Lieferwagen abgegeben waren. Erst anderthalb bis zwei Stunden nach der Tat wurde damals der schwer verletzte Familienvater entdeckt. Zwei Tage später starb er in einer Klinik.
Ob sich ein oder zwei Schützen an der Tat beteiligten, lässt sich laut Gutachter nicht mit Sicherheit sagen. Unklar sei auch, was die zweite Tatwaffe war.