München. Sie steht als Terroristin vor Gericht. An zehn Morden und zwei Sprengstoffanschlägen soll Beate Zschäpe beteiligt gewesen sein. Doch die Hauptangeklagte im NSU-Prozess schweigt bei Gutachtern und im Gerichtssaal - zu den Vorwürfen, zu den Taten, zu ihrer Person. Warum sie dennoch viel verrät.
Es dauerte eine gefühlte Ewigkeit und währte trotzdem nur einen Moment. Richter Manfred Götzl lieferte sich mit Anwältin Doris Dierbachin dieser Woche eine heftige Auseinandersetzung. Da blickte Beate Zschäpe plötzlich zu André E. Der 33-jährige Neonazi erwiderte für Sekunden die Kontaktaufnahme. Vielleicht fühlten sich die beiden Angeklagten in diesem Moment unbeobachtet, weil der Streit die Aufmerksamkeit der meisten Prozessbeteiligten des NSU-Verfahrens auf sich zog.
André E. könnte einer der wenigen sein, dem die Terrorbeschuldigte noch vertraut. Der jahrelange NSU-Helfer Holger G. sagt gegen seine früheren Freunde aus, seit ihm harte Strafen drohen. Auch der Jenaer Neonazi Ralf Wohlleben soll seit mehreren Jahren beim NSU-Trio in Ungnade gefallen sein. Sie warfen ihm vor, die Unterstützung für die drei untergetauchten Bombenbastler aufgegeben zu haben, als er vergeblich versuchte, in der Thüringer NPD Karriere zu machen.
Beate Zschäpe trägt einen wohlgehüteten Schleier über ihrem Inneren
Dieser Blickkontakt ist eine der Reaktionen von Beate Zschäpe vor Gericht, die kurz den wohlgehüteten Schleier über ihrem Inneren lüften. Ist die dunkelhaarige, gepflegt wirkende Frau auf der Anklagebank wirklich eine Terroristin, eine Rechtsextremistin, die an zehn Morden und zwei Sprengstoffanschlägen mit beteiligt gewesen sein soll?
Diese Frage stellt sich an jedem Verhandlungstag im Schwurgerichtssaal A101 des Oberlandesgerichts erneut. In der 38-jährigen Angeklagten ist kaum noch die ungepflegte Frau zu erkennen, nach der knapp fünf Jahre auf der Internetseite des Bundeskriminalamtes gefahndet wurde. Sie ähnelt auch nur wenig der völlig erschöpften Frau, die sich am 8. November 2011 nach einer tagelangen Odyssee in Jena der Polizei stellte und danach in einem Jogging-Anzug gefilmt wurde.
Ihr Gesicht erstarrt zur Maske, als Kameras und Augenpaare auf sie gerichtet sind
Ihr Auftritt vor Gericht wirkt inszeniert, soll Zweifel an der Anklage schüren. Als Beate Zschäpe Anfang Mai erstmals den Verhandlungssaal betrat, lächelte sie. Es war nur ein kurzer Moment, bis der Angeklagten klar wurde, dass mehrere Kameraobjektive und Fotoapparate auf sie lauerten, Hunderte Augenpaare sie anstarrten. Ihr Gesicht erstarrte zur Maske, sie drehte den Fotografen den Rücken zu. Dass sie da bereits deutlich länger als ein Jahr im Gefängnis gesessen hatte, war ihr nicht anzusehen.
Seither vollzieht sich dieses Ritual immer wieder vor Verhandlungsbeginn. Allerdings ist das Lächeln häufig einem genervten Gesichtsausdruck gewichen. Die Justiz verzichtet darauf, Beate Zschäpe in Handschellen vorzuführen. Sie soll nicht als Märtyrerin erscheinen.
Ob ihre Stimme so selbstsicher wie ihr Auftreten vor Gericht wirkt?
Welche Schuld sie an den Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) trägt, darüber müssen die Richter entscheiden. Bis zu einem Urteil wird es bestimmt noch ein Jahr, eher aber noch länger dauern. Die Angeklagte selber schweigt. Ob ihre Stimme so selbstsicher wie ihr Auftreten vor Gericht wirkt, dass weiß im Verhandlungssaal kaum jemand. Sie schweigt, nennt nicht einmal ihren Namen, überlässt das Reden und Agieren ihren Anwälten und dabei wird es vorerst sicherlich bleiben.
Das Verhältnis zu ihren Verteidigern Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl wirkt vertraut. Süßigkeiten werden während des Prozesses ausgetauscht, immer wieder wird auch miteinander geflüstert. Zumeist sind es Anmerkungen, die Beate Zschäpe zu Zeugenaussage macht oder Antworten auf Fragen, die ihre Anwälte haben.
Manchmal aber zaubert ein solches Gespräch auch ein Lächeln auf ihr Gesicht. Deutlich gelacht hat sie in dieser Woche nur einmal. Ein Zeuge erklärte, dass der Mitangeklagte Holger G. erzählt haben soll, dass das Zusammenleben von Zschäpe mit Mundlos und Böhnhardt harmonisch gewesen sei: „Wie eine Ehe - nur mit zwei Ehemännern.“
Sie ist keine eingeschüchterte Angeklagte - Beate Zschäpe gibt sich selbstbewusst im Gerichtssaal
Rückschlüsse auf ihr Seelenleben, ihre Art des Umgangs mit Menschen, liefern bisher zumeist Zeugen im NSU-Prozess. So erzählt ein Kriminalbeamter, dass sie Emotionen gezeigt habe, als sie nach monatelanger Haft erstmals wieder in einem Auto an Jena, ihrer Heimatstadt, vorbei gefahren ist. Ein anderer Zeuge berichtet, dass sie sich wahnsinnig gefreut habe, als sie während ihrer Zeit der Illegalität in Zwickau eine Freundin fand, mit der sie über Frauenthemen reden konnte.
Wer eine eingeschüchterte Angeklagte erwartet hatte, der weiß es inzwischen besser. Seit dem ersten Verhandlungstag blickte Beate Zschäpe selbstbewusst in den Gerichtssaal. Sie musterte zum Prozessauftakt in aller Ruhe die Nebenklageanwälte und die Angehörigen der Opfer. Es war sogar ein bisschen der Eindruck entstanden, dass sie nach monatelanger Untersuchungshaft jetzt plötzlich wieder unter Menschen ein wenig zu flirten versuchte.
Es ist vorstellbar, dass sie im NSU-Trio gleichberechtigt agierte
Wer die Hauptangeklagte vor Gericht erlebt, kann sich vorstellen, dass sie in dem NSU-Trio gleichberechtigt agierte. Es ist denkbar, dass sie auf die beiden Uwes auch entsprechenden Einfluss hatte. Die Mutter von Uwe Böhnhardt sprach im Frühjahr vor dem Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss immer nur von der „lieben Beate“. Dabei war Beate Zschäpe damals tief in der rechtsextremen Szene verwurzelt und stand im Verdacht entsprechende Straftaten begangen zu haben.
Doch die Fassade der Hauptangeklagten lichtete sich vor kurzem ein zweites Mal. Gutachter Henning Saß vom Uni-Klinikum in Aachen las in dieser Woche einen Brief auf seinem Laptop. Er verfolgt die Verhandlungen, um Beate Zschäpe für das Gericht einschätzen zu können.
Als „offenbar kontaktfreudig, selbstbewusst, unbefangen und tatfreudig“, schätzte der Psychologe die Angeklagte im Frühjahr in einem „vorläufigen forensisch-psychiatrischen und kriminalprognostischen Gutachten“ ein, ohne dass er mit ihr bisher gesprochen hat. Sie verweigert den Kontakt.
Beate Zschäpe malte kleine Zeichnungen auf einen Brief
Also bleibt Professor Saß nur die Beobachtung und der Zufall. Denn den Behörden fiel im Frühjahr auch ein Brief von Beate Zschäpe in die Hände, den sie an den Robin Schmiemann geschrieben hatte. Der Rechtsextremist sitzt ebenfalls im Gefängnis. Darin beschreibt sie ihre Situation in der Untersuchungshaft, spekuliert, ob ihr Psychopharmaka verabreicht werden und macht ihr Misstrauen gegenüber Behörden und Ermittlern deutlich.
Bilder zum NSU-Prozess
In kindlich wirkender Schrift schimpft sie über das schlechte Essen im Gefängnis und über die Hierarchie dort, wo jeder nur auf sich selbst gestellt sei. Geschmückt wird der mehr als zehn Seiten umfassende Brief durch Zeichnungen. So hat Beate Zschäpe gleich am Anfang eine Ente gemalt, die schreibt. Es gibt aber auch ein Bild zum Truppenabzug in Afghanistan oder einen Hundekopf, der mit „Hot Dog“ überschrieben ist.
Diesen Brief betrachtete sich der Gutachter in dieser Woche ausführlich während der Verhandlung. Er dürfte für ihn eine Fundgrube sein. Denn dass Beate Zschäpe sich vor Gericht weiter als bisher öffnen wird, ist derzeit kaum zu erwarten.