Washington. Der republikanische US-Präsidentschaftskandidat Mitt Romney hat seine Auslandsreise fortgesetzt und sich den nächsten Fehltritt geleistet: Beim Auftritt in Israel nannte er Jerusalem offensiv die “Hauptstadt Israels“ und brüskierte so die Palästinenser. Romney könnte den Affront kalkuliert haben.
Er wollte zuhören, Erfahrungen sammeln, Präsenz zeigen und sich nicht mit vorlauten Ansichten in den Vordergrund spielen. Gemessen an dem Bescheidenheit atmenden Anspruch, den Mitt Romneys engste Berater vor der ersten Auslandsreise des republikanischen Präsidentschaftskandidaten formulierten, ist das Ergebnis erstaunlich. Der Mann, der ab Januar 2013 die Supermacht USA führen will, hat nach übereinstimmender Ansicht nahezu aller Kommentatoren in Amerika eine „außenpolitische Bauchlandung“ hingelegt, die nur so erklärt werden kann: „Ihm fehlt das staatsmännische Format“.
In England mit unerbetenen Worten in Zweifel zu ziehen, dass London gute und sichere Olympische Spiele auf die Beine stellen kann, löste an der Themse wie am Potomac bereits über Gebühr Stirnrunzeln aus. Weil Romney seinen „unforced error“ ("unnötiger Patzer") schnell mit umso mehr Lob auszubügeln versuchte und zum Glück sowieso der Sport unerhebliche Politiker-Worte aus den Schlagzeilen verdrängte, war der Patzer bald abgehakt.
In Israel liegen die Dinge anders. Jerusalem offensiv als „Hauptstadt Israels“ zu bezeichnen (wissend, dass Israels Besetzung des arabischen Ostteils der Stadt von vielen Ländern diplomatisch nicht anerkannt wird, weshalb auch die US-Botschaft in Tel Aviv angesiedelt), ist keine Beiläufigkeit. Sie könne, heißt es beim Sender NBC, nur als Anbiederung an die Regierung Netanjahu und israelisch-stämmige Wähler in Amerika, als gezielte Provokation gegen die Palästinenser und als Breitseite gegen Präsident Obama gewertet werden, der sich hier bis zuletzt betont vorsichtig ausdrückte und die Hauptstadtfrage in die Hände von Israels und Palästinensern gelegt wissen will.
Mitt Romney lobt Israel und kritisiert die Palästinenser heftig
Laut New York Times hat Romney die Rolle Amerikas als Vermittler im Nahost-Konflikt damit unnötig „verkompliziert“. Romney ging aber noch einen Schritt weiter, der sich einreiht in eine lange Liste von „kommunikativen Fehlleistungen“ (Huffington Post) in der Innenpolitik, die seine Kampagne im Nachhinein mit großen Anstrengungen wieder einfangen musste. Obwohl er als erfahrener Geschäftsmann hätte wissen müssen, dass sowohl die Weltbank wie der Internationale Währungsfonds die miserable wirtschaftliche Situation in den Palästinensergebieten mit den vielfältigen Einschränkungen und Behinderungen durch Israel erklären, bot der Kandidat bei einem Sponsoren-Essen im King David-Hotel diese Analyse an: das ökonomische Niveaugefälle zwischen Israel und den Palästinensergebieten gehe auf „kulturelle Unterschiede“ zurück.
Um sein Argument zu unterstreichen, bei dem nach Ansicht von Zuhörern „der konstruierte Gegensatz strebsam und vital kontra apathisch und faul“ mitschwang, verwies Romney auf die großen Unterschiede beim Pro-Kopf-Jahreseinkommen. Laut Romney sei das Verhältnis 21 000 Dollar (Israel) zu 10 000 Dollar (Palästinenser-Gebiete). Falsch: Laut Weltbank ist der Unterschied mit rund 31 500 zu 1500 Dollar weitaus krasser.
Palästinenser-Unterhändler nennt Romneys Aussagen "rassistisch"
Der palästinensische Chefunterhändler Sajeb Erekat bezeichnet die Äußerungen, die nahelegten, dass die palästinensische Kultur minderwertig und weniger vital sei, als „rassistisch“. Romney mangele es Kenntnissen über die Kultur und die Geschichte der Region. Romneys Stab führte massiv Klage gegen die US-Nachrichtenagentur AP, die Romneys Ausführungen dokumentierte, die in einer pressefreien Zone fielen. Die Berichterstattung sei „grob verfälschend interpretiert“. AP wies die Vorwürfe zurück. Das Weiße Haus ging Romney für seinen Auftritt nicht direkt an. Obamas Sprecher Earnest sagte, es sei verständlich, „wenn sich jetzt einige verwundert am Kopf kratzen“. Nun sei es an Romney zu erklären, was er unter „kulturellen Unterschieden“ genau verstehe.
Demokratische Wahl-Analysten erklärten die Motive Romneys mit der Anwesenheit des Milliardärs Sheldon Adelson in Israel. Der Casino-Mogul hatte öffentlich erklärt, er werde 100 Millionen Dollar seines Privatvermögens investieren, um Romney am 6. November zum Sieg zu verhelfen und Obama aus dem Amt zu verdrängen.
P.S. Romneys Gebaren hat offensichtlich auch nicht ganz den Geschmack der Gastgeber getroffen. Israels Verteidigungsminister Ehud Barak beeilte sich nach dem Abflug des US-Politikers in Richtung Polen zu sagen. „Diese Regierung tut mehr für unsere Sicherheit, als mir aus der Vergangenheit in Erinnerung ist.“ Barak meinte die Regierung Obama.