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Weltweit Irritationen hat Wikileaks’ Geheimnisverrat ausgelöst. Wem kann man noch trauen? Zorn, doch auch Beifall wird jetzt den Verbreitern der fatalen Indiskretionen entgegen gebracht. Nicht ohne Grund: Bei Verrat und Verrätern verwischen sich die Grenzen von Böse und Gut bis zur Unkenntlichkeit.

Eigentlich wäre Bradley Manning - der US-Gefreite, der die Lageberichte zum Irakkrieg an WikiLeaks weitergegeben hat - mit der ihm drohenden 50-jährigen Haft für den Dokumentenverrat noch gut bedient. Jedenfalls im Vergleich zu seinesgleichen im Mittelalter. Sie wurden gevierteilt oder ertränkt. Man ist halt milder geworden in der Welt.

Erhalten blieb ihr jedoch die Heuchelei, mit der sie mit Verrat und Verrätern umzugehen pflegt. Denn ob strahlender Held oder elender Schuft: Das wird höchst subjektiv gesehen und meist von denjenigen definiert, die die Mehrheit im Lande haben, die sich als Gutmenschen wähnen oder von de­nen, die an der Macht sind. War der Bauer, der den Rebellen Che Guevara seinen Hä­schern preisgab, Held oder Schuft? Es ist eine Frage der Perspektive. Aber in trefflicher Weise hat das Volk seine eigene Scheinheiligkeit selbst be­schrieben, als es Cäsars „Ich liebe den Verrat, aber ich hasse Verräter“ zur „Volksweisheit“ erhob. (Dass Cäsar durch die Hand eines Verräters starb, zeigt: Geschichte hat einen hintergründigen Humor).

30 Silberlinge, harte Dollars

Der Verrat hat tausend Ge­sichter. Begrifflich kommt er als Treuebruch und Seitenwechsel daher, als Illoyalität, In-den-Rücken-Fallen und als Übermitteln geheimster Informationen an den Feind. Das Motiv kann schnöde Gier nach Geld sein, so wie Judas 30 Silberlinge für den Verrat Jesu Christi erhielt und wie moderne Verräter harte Dollar und eine neue Identität erhalten für den Verrat an Volk und Nation. Auch will der Verräter vielleicht Rache für eine seelische Verletzung üben, die er einst erlitt. Oder er wird von Ideologie- oder Machtgelüsten gesteuert – es gibt kein generelles Motiv.

Wie moralisch hoch be­frachtet der Begriff Verrat ist, belegt etwa die Frage: Ist der Tyrannenmord legitim, ist er verwerflich? Im Fall Stauffenberg hat dies diese Republik entschieden. Der Hitler-Attentäter ist hoch geehrt.

Und wie wäre der Verrat zu bewerten, der unter Folter entsteht? Die Inquisitoren verstanden sich bestens darauf; und auch die Despoten, die heute ihr Volk malträtieren. Andererseits: Wie schwer wiegt Verrat, der im Liebesrausch in den Armen einer Mata Hari (deutsch-französische Doppelagentin im Weltkrieg I) geschah oder im Bett der Christine Keeler (britisches Callgirl)? Über deren möglicherweise Geheimnis-beladenes Techtelmechtel hat der britische Heeresminister Profumo in den 1960er-Jahren seinen Hut nehmen müssen.

Die Macht der Illoyalität

Illoyalitäten haben den Lauf der Geschichte beeinflusst. Als sich ein Insider des Weißen Hauses gegenüber Reportern der Washington Post über trübe Machenschaften Richard Nixons ausließ, war es um dessen Präsidentschaft geschehen. Wie sähe unsere Republik aus, hätte sich der CDU-Abgeordnete Julius Steiner beim Misstrauensvotum seiner Partei im April 1972 gegen den SPD-Kanzler Willy Brandt nicht enthalten? Dafür hat er 50 000 DM von der Stasi kassiert. Sonst wäre Rainer Barzel (CDU) Kanzler geworden.

Wer, wenn nicht die Deutschen hätte Grund, über Verräter und Verrat zu reflektieren – ungezählt sind die Opfer, die durch denunzierende Blockwarte vor den NS-Blutrichtern standen. Ein Hausmeister gab die Widerständler Geschwister Scholl der Gestapo in die Hände; auch Anne Franks Versteck wurde verraten, sie starb im KZ. Und: Hätte sich der SED-Apparat ohne die Millionen Augen und Oh­ren der Stasi und ihrer Helfershelfer 40 Jahre gehalten? Vera Lengsfeld, Bürgerrechtlerin, wurde vom eigenen Ehemann bespitzelt: ein Fall als Symbol für die DDR-Perfidie.

Ein kluger Mensch, der Hoffmann von Fallersleben, der uns hinterließ: „Der größte Lump im ganzen Land, das ist und bleibt der Denunziant.