Stephan Kuhn ist Nebenklage-Anwalt eines Opfers aus der Kölner Keupstraße und hat als solcher mehr als 160 Verhandlungstage im NSU-Prozess erlebt.

Herr Kuhn, seit Dienstag kommen im NSU-Prozess die Opfer der Kölner Keupstraße zu Wort. Wie wichtig ist das für diese Menschen, die lange selbst der Tatverdacht der Ermittler traf?

Stephan Kuhn: Sehr wichtig! Denn bisher haben wir nur über den Tatort und die Sachschäden gesprochen. Das war sehr abstrakt. Nun können die Betroffenen endlich einmal ihre Sicht schildern. Wie sie die Tat selbst empfunden haben, und wie sie die Verdächtigung der Polizei erlebten, der Hintergrund des Anschlages sei Organisierte Kriminalität.

Erst 2011 wurde die Tat der NSU, dem Rechtsterror, zugeschrieben. Wieso so spät?

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Kuhn: Eigentlich ist die Tat doch selbsterklärend gewesen. Von den 22 Opfern tragen 21 einen Namen, der auf einen ausländische Wurzeln hinweist. In den Akten findet man eine Fallanalyse, die einen Monat nach dem Anschlag erstellt wurde, auch die wies den Weg Richtung Rechtsextremismus. Aber die Behörden, darunter das NRW-Innenministerium und der damalige Bundesinnenminister Schily, haben das durch ihre Aussagen bald korrigiert. Ich denke, dass man sich dadurch ein bisschen den Weg für offene Ermittlungen verbaut hat. Leider. Denn den Opfern wären über Jahre demütigende Ermittlungen erspart geblieben.

Hilft dieser Prozess den Menschen in der Keupstraße, das verlorengegangene Vertrauen in diesen Staat wiederzugewinnen?

Kuhn: Das Urteil, eine Bestrafung der Täter, kann natürlich dazu beitragen. Aber wichtig ist auch die Solidarisierung mit den Opfern, etwa wenn sie in diesen Tagen nicht alleine zum Prozess nach München fahren müssen, sondern von der Initiative “Keupstraße ist überall” und vielen Menschen begleitet werden.

Und der Prozess selbst, kann er die an ihn gestellten Erwartungen erfüllen, klärt er genug auf? Er dauert nun schon 177 Tage!

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Kuhn: Der Senat ist sehr bemüht aufzuklären. Das große Problem ist, dass die Zeugen aus der rechten Szene uns die Hucke volllügen. Die fühlen sich offenbar sehr sicher und geben nur zu, was ohnehin bekannt ist. Das blockiert viel.

Herr Kuhn, Ihre Einschätzung: Wann endet der Prozess und wird Beate Zschäpe, die Hauptangeklagte, ihr Schweigen doch noch brechen?

Kuhn: Ich glaube, der Prozess wird noch in diesem Jahr zu Ende gehen. Wir sind schon sehr weit mit der Beweisaufnahme. Beate Zschäpe wird aller Voraussicht nach nicht reden. Aber es gibt Hinweise, dass Ralf Wohlleben sich einlassen könnte. Doch er ist ein strikter Nazi-Kader, der vermutlich nicht viel Erhellendes sagen wird, sondern nur sich selbst retten will.