Witten. . Bundesweit fand ein Gedenktag für verstorbene Süchtige statt. Die Andacht, die in Witten von Mitarbeitern des „Haus im Park“ (HIP) organisiert wurde, richtete sich vor allem an Bekannte der Toten, die selber aus der Drogenszene kommen. Oft würden sie nicht zur Beerdigung eingeladen.

Kerzen flackern, weiße Rosen liegen auf kleinen Namenszetteln. „Kalski“, „Siggi“ und „Steffi“ liest man darauf. Es ist eine Trauerfeier für sie – für Wittens Drogentote.

Bundesweit fand jetzt ein Gedenktag für verstorbene Süchtige statt. Die Andacht, die in Witten von Mitarbeitern des „Haus im Park“ (HIP) organisiert wird, richtet sich vor allem an Bekannte der Toten, die selber aus der Drogenszene kommen. Oft würden sie nicht zur Beerdigung eingeladen.

Aber nur wenige von ihnen sind zur Andacht am Schwanenmarkt gekommen. „Die meisten Abhängigen wollen anonym bleiben“, weiß der Sozialarbeiter des HIP, Marcus Reckert (46).

"Erinnerungen sind wie ein Schatz"

Einer der Teilnehmer ist ein zierlicher Mann um die 40. Mehr als die Hälfte der Verstorbenen habe er gekannt. Wenn der regelmäßige HIP-Besucher über seine eigene Sucht spricht, klingt er seltsam abgeklärt: „Ich hab gedrückt, bis ich eine Leberzirrhose bekam.“

Im Verlauf der Andacht lesen einige der Anwesenden die Spitznamen ihrer Angehörigen vor. Fotos gibt es keine und außer ihrer Todesursache weiß man als Außenstehende nichts über sie.

Für die Freunde und Bekannten aus der Szene sieht das anders aus. Sie kennen die Geschichten und Gesichter. Wolfram Linnemann, Pfarrers der Johannis-Kirchengemeinde, bringt die Gefühle der Anwesenden in seiner Predigt auf den Punkt: „Erinnerungen an geliebte Menschen sind wie ein Schatz, man trägt sie zwar nicht immer bei sich, trotzdem sind sie einem heilig.“ Ein lautes „Amen“ durchbricht nach dem Gebet die Stille.

Sicherer Konsumraum fehlt

Mit der Andacht wollen die Sozialarbeiter vom HIP nicht nur bei der Trauerarbeit helfen. Sie wollen auch auf Defizite ihrer Arbeit aufmerksam machen. „Es fehlt ein Konsumraum, in dem sich Abhängige sicher einen Druck setzen können“, erklärt Marcus Reckert. Mit „sicher“ meint er die Anwesenheit von Ärzten, die im Notfall eingreifen können. Spritzen sich Betroffene eine Überdosis oder verunreinigten Stoff irgendwo alleine im Park oder auf einer öffentlichen Toilette, kann das zum Tod führen. Auch bräuchte man einen Sozialarbeiter, der die Süchtigen in der Szene anspricht. Doch für die Personalkosten fehlt es an Geld.

„Der wichtigste Schritt ist die Entkriminalisierung der Sucht“, darüber sind sich alle Anwesenden des Gedenktages einig. „Ich betrachte die Sucht meiner Patienten als chronische Krankheit“, sagt etwa Dr. Michael Mönks (65). Mit drei weiteren Ärzten leitet er die Methadonvergabe in Witten. Etwa 120 Menschen, die ihre Sucht überwinden wollen, kommen täglich zum Schwanenmarkt, um den Heroin-Ersatzstoff zu bekommen.

Nur fünf bis zehn Prozent schaffen den Ausstieg

Erst seit 1994 ist die Substitution legal – dank eines Versuchsprogramms, das Dr. Frank Koch in Witten ins Leben rief. Auf fünf bis zehn Prozent schätzen die Ärzte die Anzahl derjenigen, die den Ausstieg damit gänzlich schaffen.

Auch der schmächtige Bekannte der vielen Drogentoten ist mittlerweile in dem Substitutionsprogramm. Denn er möchte nicht, dass irgendwann sein Name hier beim Gedenktag vorgelesen wird.