Witten. .
Ulrich Lyding (65) und Karlheinz Dressel (76) kennen sich schon lange. Die Lebenshilfe verbindet beide. Dressel hat sie mitbegründet. Lyding braucht sie. Denn sie hilft Menschen mit geistiger Behinderung. Und das seit 50 Jahren.
Die Lebenshilfe heute, das ist vor allem der große Komplex an der Dortmunder Straße. Mit der Werkstatt, der Gärtnerei, einem Wohnheim und dem Lebenshilfe-Center daneben. Übers Stadtgebiet verteilt gibt es außerdem die heilpädagogische und inzwischen integrative Kindertagesstätte am Helenenberg, ein zweites Wohnheim an der Pferdebachstraße sowie die Frühförderstelle am Wannen gleich beim Familienzentrum.
Menschen wie Ulrich Lyding würden heute wohl nicht mehr als geistig, höchstens als lernbehindert gelten, wenn es all diese Fördermöglichkeiten schon früher gegeben hätte, sagt Prof. Dr. Günther Boheim, seit 1987 Vorsitzender der Lebenshilfe Witten und selbst betroffener Vater. Doch bevor am 3. Oktober 1960 61 Eltern den Verein gründeten, herrschten andere Zustände.
1962 startete die erste Gruppenbetreuung
„Mein Kind ist behindert. Da ist nichts mehr zu machen.“ So hätten die meisten betroffenen Eltern damals gedacht, sagt Karlheinz Dressel. Diese Kinder lebten überwiegend in Heimen. „Verwahranstalten“ nennt Dressel sie. Er hat selbst gesehen, wie es darin zuging.
Dem Niederländer Tom Mutters sei es letztlich zu verdanken, dass sich nicht nur in Witten der Umgang mit geistig behinderten Menschen änderte – so, wie im Nachbarland Behinderte schon längst in den Alltag integriert und nicht versteckt wurden. Jedenfalls überzeugte Mutters mit seinem Konzept, „das frühe Hilfen die wirksamsten Hilfen sind“. Sein Vortrag in Witten ließ betroffene Eltern aufhorchen und selbst aktiv werden. Dressel, der damals gerade als Sozialarbeiter bei der Stadt angefangen hatte, begleitete den Prozess über Jahrzehnte. Natürlich nutzte er berufliche Kontakte, war jedoch überwiegend ehrenamtlich im Einsatz. „Ich war neugierig. Und ich wollte Schwächeren helfen“, beschreibt er die Motivation für sein Engagement.
Im Oktober 1962 – nach vielen Gesprächen und der Anschaffung heilpädagogischen Lernmaterials – starteten die Eltern den ersten Versuch einer Gruppenbetreuung. Den Raum, erzählt Dressel, stellte die Freie Ev. Gemeinde in ihrer Erholungsstätte auf dem Wartenberg zur Verfügung. Für die Betreuung von zunächst drei und bald zehn Kindern wurde eine Erzieherin eingestellt. Ein Jahr später waren es 40 Kinder und sieben Fachkräfte. Eine Villa in Annen diente als Tagesbildungsstätte. 1968 folgte der Umzug auf den Helenenberg. Hier konnten endlich kleine Kinder, Kinder im Schulalter sowie junge Leute im Berufsschulalter angemessen gefördert werden.
Weiteres Wohnheim wird dringend benötigt
Die Eltern schämten sich nicht länger ihrer Kinder. Auch die Bürger begannen sich an die Menschen mit geistiger Behinderung zu gewöhnen. „Wir sind einmal pro Woche mit einer Gruppe in die Stadt gegangen“, so Dressel.
Zwar gibt es heute etliche Fördermöglichkeiten, doch längst ist nicht alles eitel Sonnenschein. Mittlerweile fehle es an Elterninitiative. Und Dr. Dieter König, Geschäftsführer der Lebenshilfe, hat noch ein paar Wünsche: „Ein weiteres Wohnheim wird dringend benötigt. Und eine tragfähige Lösung für Menschen, die ins Rentenalter kommen.“