Der siebenjährige Thilo Prünte besucht die erste Klasse der Pferdebachschule - trotz seiner Körperbehinderung. Zwei Integrationshelferinnen der Lebenshilfe begleiten ihn beim Unterricht und in den Pausen.

Die Kinder der 1 b beginnen die vierte Stunde mit einem Lied, danach erledigt jeder für sich ein Arbeitsblatt. Mittendrin Thilo. Der Siebenjährige singt, schreibt, liest und malt wie alle anderen. Das ist selbstverständlich. Und doch wieder nicht. Denn Thilo hat eine Körperbehinderung. Und die Pferdebachschule ist eine Regelschule. Doch zum Glück gibt es Barbara Büscher und Ricarda Arand, die beiden Integrationshelferinnen der Lebenshilfe Witten. „Ohne sie”, sagt auch Klassenlehrerin Annette Schulte, „wäre es undenkbar, dass Thilo hier ist.”

Thilo Prünte wurde mit einem kaudalen Regressionssyndrom geboren – einer sich überwiegend auf den Rücken und die Beine auswirkenden Fehlbildung der unteren Wirbelsäule und des Beckens. Thilo trägt ein Korsett, kann nur kleine Strecken laufen, braucht sonst den Rollstuhl. Die Familie wohnt in Heven. Dort besuchte der aufgeweckte blonde Junge zunächst die integrative Tageseinrichtung der Lebenshilfe am Wannen. In seiner Gruppe waren zehn nichtbehinderte und fünf behinderte Kinder. Alles ganz normal. Für Thilos Eltern war es anschließend das gute Recht ihres Sohnes, eine Regelschule besuchen zu dürfen.

„Aufgrund baulicher Gegebenheiten und der Bereitschaft des Kollegiums haben wir uns für die Pferdebachschule entschieden”, sagt Birgit Prünte (42). Die Schulen in Heven hatten zu viele Treppen, das Gebäude der Pferdebachschule liegt ebenerdig. Außerdem stimmte hier die Einstellung der Schulleitung: „Okay, das kriegen wir hin”, signalisierte die der Familie – und ist damit die erste Regelschule in Witten mit einem Rolli-Kind, wie Annette Schulte (50) stolz betont.

Mit Unterstützung der Grundschule stellten die Prüntes einen Antrag auf sonderpädagogischen Förderbedarf, der nach eingehender Prüfung fürs erste Schuljahr bewilligt wurde. „Das war belastend”, sagt die Mutter. Vor allem für Thilo, der regelrecht durchgetestet wurde. Doch es habe sich gelohnt. Denn, so Birgit Prünte, wenn man eine Förderschule wähle, sei das zwar der einfachere Weg, doch auch einer, mit dem die restliche Schullaufbahn des Kindes vorgezeichnet sei. Das Gymnasium zum Beispiel könne man dann vergessen.

Intensive Gespräche mit den Lehrkräften der Pferdebachschule folgten, denn es gab so viel zu klären: Wie funktioniert der Sportunterricht? Wie kommt Thilo zur Toilette? Wer schiebt ihn bei Ausflügen? Natürlich hilft auch mal ein Kumpel, doch vor allem haben diese Aufgabe die Integrationshelferinnen übernommen. Damit Thilo nicht ständig im Mittelpunkt steht, sind sie grundsätzlich für alle Kinder da, richten aber ihr besonderes Augenmerk auf den Jungen mit der Körperbehinderung. Heute ist es die 24-jährige Barbara Büscher, die sich zum Beispiel sofort kümmert, als Thilo in der Pause seine Jacke vermisst, und die ihm in die Sportklamotten hilft.

Thilo gehöre an eine Regelschule, bestätigt jetzt, nach dem ersten Halbjahr, seine Klassenlehrerin: „Er ist wie ein Schwamm, saugt Wissen auf. Für ihn ist es das größte Geschenk, integriert zu sein.” Auch für die Klassengemeinschaft sei er ein Gewinn. Längst hätten die Kinder ihre Berührungsängste abgelegt. „Die stellen ganz direkte Fragen, erwarten faire Antworten und die kriegen sie von Thilo.”

Bis 15 Uhr besucht Thilo die offene Ganztagsbetreuung der Pferdebachschule. Dann bringt ihn ein Fahrdienst nach Hause. Oft muss er noch zur Krankengymnastik. Manchmal zu Kindergeburtstagen. Thilo ist auch im Sportverein, trainiert mit seiner Familie für den Triathlon – nur eben im Rolli. „Geht nicht, gibt's für ihn nicht”, sagt seine Mutter.