Witten. Mit Bagger, Schüppe und Eimer haben Arbeiter vorm Saalbau Witten eine Weltkriegsbombe ausgebuddelt. So lief die Bergung des Blindgängers.
Schon seit Jahren hat man bei der Stadt Witten einen Blindgänger in einem Blumenbeet vor der Saalbau-Gastronomie vermutet. Am Dienstag (30.1.) herrscht gegen elf Uhr Gewissheit: Ja, in sieben Meter Tief haben die Experten vom Kampfmittelräumdienst in Arnsberg tatsächlich eine Fliegerbombe gefunden. Aber nur eine halbe. Weil der Zünder wahrscheinlich 1945 beim Aufprall abgebrochen war, bestand keine Gefahr mehr - und die vorbereitete Evakuierung der halben Innenstadt konnte abgesagt werden.
Die Stadtverwaltung hatte die Räumung aufwendig geplant. Um neun Uhr stehen an der Hauptfeuerwache an der Dortmunder Straße etliche Einsatzkräfte und Hilfsorganisationen bereit. Es heißt, das DRK habe sogar 800 Mittagessen vorbereitet, um später die evakuierten City-Bewohner in der Notunterkunft Holzkamp-Turnhalle versorgen zu können. Einige Lokale oder Geschäfte blieben geschlossen - etwa das Café Extrablatt in der Bahnhofstraße. In der Innenstadt herrscht eine ungewöhnliche Ruhe. Auf den Straßen fahren weniger Autos, in den Bussen sitzen weniger Passagiere. Die evangelische Kita am Saalbau hat die Rollläden heruntergelassen, Amtsgericht, Saalbau - alles ist dicht.
Viele Schaulustige am Verdachtspunkt
Allein vier bis fünf Arbeiter der Firma WIWA Kampfmittelbergung sind rührig. Sie haben bereits am Montag ein vier Meter tiefes Loch gegraben und mit einem ringförmigen Alu-Verbau gesichert. Immer wieder wird die Leiter angestellt und einer der Männer steigt mit Schüppe ins Loch hinab. Zwischendurch schaufelt der Bagger Erdreich ab, dann wird wieder geguckt, geschüppt, diskutiert.
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Im Laufe des Vormittags finden sich am Dienstag immer mehr Schaulustige an dem Verdachtspunkt ein. Manfred Schluck etwa, 84, der gegenüber dem Bahnhof wohnt. „Wenn wir evakuiert werden müssen, fahre ich mit dem 379er in den Ruhrpark“, sagt er. Neben ihm steht Adolf Zeller, 72. Er wohnt direkt am Saalbau und hat sich die Dortmunder Messe „Jagd & Hund“ als Alternativprogramm überlegt. „Ich finde das interessant“, antwortet er auf die Frage, wie es denn so sei, mit einer Bombe vor der Haustür zu leben. „Wir wissen ja, dass Witten heftig bombadiert wurde und 80 Prozent der Innenstadt zerstört wurden“, sagen die beiden.
Verdachtspunkt ist seit 2017 bekannt
Als der Saalbau und das große Blumenbeet um 1975 errichtet wurden, wurde der Untergrund nicht abgesucht. Die Stadtverwaltung schöpfte 2017 Verdacht, als sie einen Bauantrag zur Bergerstraße bearbeitet hat, erinnert sich Frank Hafermas, der bei der Feuerwehr für Blindgänger zuständig ist. Zu jeder Baugenehmigung ist mittlerweile eine „Bestätigung zur Kampfmittelfreiheit“ verpflichtend. Dazu erfolgt bei der Bezirksregierung Arnsberg eine Auswertung der Luftbilder, die Deutschland nach dem Krieg den Alliierten abgekauft hat. Darauf kann man einen Einschlagskrater in dem heutigen Beet vorm Mondo erkennen.
Schon lange möchte die Stadt der Einschlagsstelle auf den Grund gehen. Während der Coronapandemie wurde ein erster Anlauf verschoben, eine mögliche große Evakuierung schien unvorstellbar. Nun aber stehen Bauprojekte wie eine Saalbausanierung sowie ein Hotel-Neubau an. Ende November 2023 gab es Probebohrungen - und die Metalldetektoren schlugen tatsächlich an.
Bombe kleiner als vermutet
Um etwa 10.30 Uhr kommt Bewegung in die Sache. Die Hälfte des Sprengkörpers ist freigelegt. Es ist nicht wie vermutet eine 500-Kilo-Bombe, die die Evakuierung von rund 5000 Menschen in der Innenstadt erfordert hätte. Bei einer 250-Kilo-Bombe ist „nur“ ein Evakuierungsradius von 250 Meter (statt 500) rund um die Einschlagstelle vorgesehen.
Während der Einsatzstab der Stadt neu plant, wo denn möglicherweise evakuiert werden müsste, wird Feuerwerker Rainer Wojtschek (62) stutzig. Offenbar liegt nur noch ein Teil der Bombe im Boden. Der Blindgänger wird in Frischhaltefolie und Malervlies eingewickelt, mit Ketten verzurrt und vorsichtig vom Bagger ans Tageslicht gehoben.
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Liegt vielleicht noch der zweite Teil mit dem Zünder im Boden? Noch weitere 20 Minuten wird gebuddelt. Der Metalldetektor gibt keinen Mucks von sich. Dann gibt es Entwarnung. Kein Sprengstoff, keine Gefahr, keine Evakuierung.
„Wir haben nichts mehr gefunden“, sagt Feuerwehrsprecher Uli Gehrke. „Die Sucharbeiten sind abgeschlossen.“ Das Leben in Witten kann normal weitergehen, während die Bauarbeiter das Loch wieder zuschütten und die halbe Bombe - nicht mehr als ein Haufen Metallschrott - im Kofferraum eines VW-Bulli zur Bezirksregierung nach Arnsberg fährt.
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