Witten/Wetter. Täglich sterben drei Menschen, die auf ein Spenderorgan warten. Günter Breitenberger hat es geschafft: Er lebt mit einem neuen Herzen.
- Am heutigen Montag (18.3.2024) geht das neue Organspende-Register online. Dort kann jeder seine Entscheidung für oder gegen eine Organspende nach dem eigenen Tod hinterlegen.
- Das Register soll dabei helfen, den Mangel an Spenderorganen zu bekämpfen. Außerdem soll es mehr Rechtssicherheit bringen und den Informationsfluss mit den Kliniken verbessern. In vielen anderen Ländern gilt die sogenannte Widerspruchslösung, d.h. wer sich nicht aktiv dagegen ausspricht, steht für eine Spende zur Verfügung.
- Günter Breitenberger lebt mit einem transplantierten Herzen. Seine Geschichte haben wir im Dezember 23 erstmalig veröffentlicht. Aus aktuellem Anlass können Sie diese nun noch einmal lesen.
Seit sechs Jahren lebt Günter Breitenberger mit einem neuen Herzen. Seit sechs Jahren dankt er seinem Spender jeden Morgen für sein zweites Leben. Aber seit sechs Jahren vergeht auch kein Tag, an dem ihn nicht die Erinnerung an die lange Zeit quält, in der er dem Tod näher war als dem Leben. An das Warten, die Ungewissheit. Wenn der Bundesrat am 15. Dezember erneut über das Organspende-Gesetz abstimmt, wird der 56-Jährige daher ganz genau hinschauen. Denn er ist sicher: Wenn die Widerspruchslösung kommt, wird vielen Kranken sein Martyrium erspart bleiben.
Günter Breitenberger war keiner, der kränkelt. Ein aktiver, sportlicher Mann, mitten im Leben, erfolgreich im Job. Für seine Frau und die beiden kleinen Töchter, sechs und neun Jahre alt, hatte der Wetteraner an der Stadtgrenze zu Bommern gerade erst ein Haus gebaut. „Auch beruflich war ich sehr ehrgeizig“, erzählt der Einkäufer. Deshalb ignoriert er 2011 eine Erkältung, spielt die folgende Lungenentzündung herunter und landet, als er plötzlich keine Luft mehr bekommt, im Wittener Marien-Hospital. Diagnose: Herzmuskelentzündung.
„Da hatte mein Herz noch zehn Prozent Leistung“, erinnert er sich. Dann spielt die Frequenz verrückt, der damals erst 44-Jährige muss wiederbelebt werden. Es folgen sieben Wochen Intensivstation, Reha und die Erkenntnis: Der Herzmuskel ist irreparabel geschädigt.
Medikamente schieben das Unvermeidliche etwas auf
Ein paar Jahre lang kann das Unvermeidliche noch aufgeschoben werden, mit Medikamenten und mehreren kleinen Eingriffen. Doch 2014 hilft das alles nicht mehr. „Da war klar, ich muss ein neues Herz bekommen“, sagt Breitenberger. Klar ist aber auch: Die Wartezeit wird er nicht überleben. Zur Überbrückung wird dem Wetteraner ein VAD, ein Kunstherz implantiert.
Eine Notlösung, aber eine, mit der er sich arrangieren kann. Die vier Kilo schwere Akkutasche, die das Herz am Schlagen hält, wird zu seinem ständigen Begleiter. Auf der Arbeit, zu Hause, im Urlaub. Aber er trägt sie, ohne zu murren. „Ich wusste ja, das VAD verschafft mir Zeit.“
2017 ist auch die schließlich abgelaufen. Günter Breitenberger bekommt Fieber, am Herz hat sich ein Infekt entwickelt. Der Patient wird sofort auf die Dringlichkeitsliste gesetzt, doch kurz darauf folgt die nächste Hiobsbotschaft. Durch die Sepsis hat sich ein daumengroßes Gerinnsel im Gehirn gebildet – Schlaganfall. Er wird von der Liste gestrichen, sein Leben steht auf der Kippe. „In dem Moment war ich eher Organspender als -empfänger“, sagt der 56-Jährige.
Wetteraner versinkt zwischendurch in bodenlose Verzweiflung
Drei ganze Monate dauert es, bis das Gerinnsel endlich völlig aufgelöst werden kann. Breitenberger kommt wieder auf die Liste. Dann beginnt das Warten, das Warten auf Tod oder Leben. „Die Ungewissheit zerstört dir den Geist, die frisst dich auf“, sagt er. Statistisch sterben jeden Tag drei Menschen, die auf ein Organ warten. „Das Wissen ist schwer zu ertragen.“ Der Kranke versinkt zwischendurch in bodenloser Verzweiflung. „Ich hatte schon meine Beerdigung geplant.“ Doch da ist auch der Wille zu leben. „Ich wollte unbedingt meine Mädchen aufwachsen sehen.“
Lesen Sie auch:
- Netzwerk Organspende: „Wir brauchen einen Kulturwandel“
- Witten: Beim Thema Organspende kochen die Emotionen hoch
- Palliativnetz: Patienten-Versorgung in Witten ist gesichert
Schließlich kommt der erlösende Anruf. Es gibt ein Herz, stark und gesund. Am 6. Mai 2017 wird Günter Breitenberger operiert. Er übersteht die Transplantation ohne Probleme. „Dieser Tag ist mein zweiter Geburtstag“, sagt er. Wenn er ihn feiert, dann wird auch für den Spender eine Kerze angezündet. „Und wir sind in Gedanken bei ihm und seiner Familie“, sagt er. Er weiß nicht, wer der Mann war und was ihm geschehen ist. „Aber ich bin ihm unendlich dankbar. Vor allem dafür, dass ich als Vater noch da sein darf.“
Große Hoffnung auf neue Abstimmung im Bundesrat
Er darf leben – und das ohne große Einschränkungen. „Klar, gibt es Nebenwirkungen von den Medikamenten. Aber die nehme ich gerne in Kauf.“ Der Mittfünfziger will seine zweite Chance nutzen. Er lebt mit seinem neuen Herzen nicht nur bewusster. Er setzt sich auch für seine Leidensgenossen ein.
Als Vorsitzender der Selbsthilfe Organtransplantierter NRW ist Günter Breitenberger politisch aktiv. Auf die erneute Abstimmung im Bundesrat setzt er große Hoffnung. Die Widerspruchslösung – also die Regelung, dass jeder, der nicht ausdrücklich widerspricht, ein möglicher Organspender ist – sei längst überfällig, meint er.
Dass das Thema nun überhaupt noch einmal auf die Tagesordnung gekommen ist, ist für Selbsthilfe-Organisationen ein unerwarteter Glücksfall. „Das Thema war eigentlich tot“, erklärt Stefan Palmowski, der Vorstandsvorsitzende des Netzwerks Organspende NRW. Denn erst im Januar 2020 war die „erweiterte Zustimmungslösung“ beschlossen worden. Hierbei waren Hausärzte und Bürgerbüros aufgefordert, verstärkt über das Thema aufzuklären. „Doch das hat praktisch keinen messbaren Effekt gehabt“, sagt Palmowski.
Wittener betont: Mehrheit steht Organspende positiv gegenüber
Noch immer sprächen die Zahlen für sich, so der Wittener. „84 Prozent der Bevölkerung stehen der Organspende positiv gegenüber. Aber nur 44 Prozent haben ihren Willen dazu auch dokumentiert.“ Ein Missverhältnis mit Folgen: Kommt es zu einem Notfall, müssen sehr häufig die Angehörigen entscheiden, was der Verstorbene gewollt hätte – und entscheiden sich dann aus Unsicherheit gegen die Organspende.
Die Widerspruchslösung würde das ändern, den Willen abbilden. Wer kein Organspender sein will, müsste aktiv werden. „Ganz wichtig ist: Es gebe auch dann keinen Zwang, ein Spender zu sein“, betont Günter Breitenberger. „Sondern nur den Zwang, sich zu entscheiden, ob ich es sein möchte.“
Keine Spende in Witten
Der von Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg eingebrachten Entschließungsantrag fordert die Bundesregierung auf, gesetzgeberisch tätig zu werden. Die vom Bundesrat gefasste Entschließung möchte die Widerspruchslösung in das Transplantationsgesetz als Grundlage für die Zulässigkeit der Organentnahme aufnehmen. Abgestimmt werden soll über den Antrag am 15. Dezember.
Deutschland ist ein Europa Schlusslicht bei der Spendebereitschaft der Bevölkerung für Organe. Die Zahl der Organspender stagniert seit nunmehr zehn Jahren auf niedrigem Niveau. Etwa 8500 Menschen stehen in Deutschland auf der Warteliste für ein Spenderorgan. 2022 gab es bundesweit 869 Organspender, in NRW waren es 169.
In Witten wurden nach Angaben der beiden Krankenhäuser keine Organe gespendet. Demnach wurden aber 88 potenziell mögliche Organspender im Nachhinein erkannt, viermal wurde Kontakt mit der Deutsche Stiftung Organtransplantation aufgenommen.
Dass die Widerspruchslösung ein gutes Mittel ist, um die Zahl der Organspenden zu steigern, zeige der Blick auf die Nachbarländer. „Während man in Deutschland bis zu sechs Monate auf ein Herz warten muss, sind es Österreich nur zwei bis drei Wochen“, so der Wetteraner. Bei einer Niere sei das Verhältnis zehn Jahre hier zu zwei Jahren dort. „Und während wir dagegen stimmen, importieren wir gerne die Organe, die aus den Ländern mit Widerspruchslösung stammen. Das kann doch nicht richtig sein!“
+++ Sie wollen keine Nachrichten aus Witten verpassen? Dann können Sie hier unseren Newsletter abonnieren. Jeden Abend schicken wir Ihnen die Nachrichten aus der Stadt per Mail zu. +++
Günter Breitenberger will sich damit nicht zufriedengeben. Mit der Regelung könne vielen Menschen rasch geholfen werden, sagt er. „Wir haben ja die richtigen Therapien. Es fehlt nur dieser eine Schritt.“ Dabei sei die Lösung des Problems doch so einfach auf den Punkt zu bringen: „Organspende rettet Leben.“