Witten/EN-Kreis. Arbeitnehmer im EN-Kreis melden sich immer öfter krank, wie Daten der Kassen ergeben. Witten ist keine Ausnahme. Was ein Mediziner dazu sagt.
Der Krankenstand im Ennepe-Ruhr-Kreis ist so hoch wie nie zuvor. Das geht aus den Versichertendaten von AOK Nord-West, BKK Nord-West und DAK-Gesundheit hervor. Ärzte und Arbeitgeber in Witten können die Statistik teilweise bestätigen.
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„Mehr als die Hälfte der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer hatten bis Ende Juni 2023 bereits mindestens eine Krankschreibung“, erklärt die DAK bei ihrer aktuellen Fehlzeiten-Analyse für NRW. „So eine hohe Quote (51,6 Prozent) wird gewöhnlich erst am Ende eines Jahres erreicht“, heißt es.
Laut AOK war der höchste Krankenstand im Vorjahr mit 9,4 Prozent in der öffentlichen Verwaltung und Sozialversicherung zu beobachten, der niedrigste in der Land- und Forstwirtschaft mit 5,5 Prozent. Bei den rund 42.000 AOK-Versicherten im EN-Kreis stiegen die Fehlzeiten 2022 auf 7,7 Prozent (2021: 6,3 Prozent.).
Die Erwerbstätigen im EN-Kreis fehlten laut AOK im vergangenen Jahr durchschnittlich an 28,1 Tagen im Job – ein Anstieg von 22,5 Prozent gegenüber 2021 (23 Tage). Die jeweilige durchschnittliche Krankheitsdauer ist indes rückläufig. Sie sank von 13,7 Tage auf 11,7 Tage. Die BKK verzeichnete unter ihren 17.600 Mitgliedern im Kreis 25,8 krankheitsbedingte Fehltage.
AOK: Rasanter Anstieg bei Atemwegserkrankungen
Höchster Krankenstand ab 60
Der AOK-Gesundheitsbericht wertet auch den Krankenstand nach Alter und Geschlecht aus. Danach lag bei den Männern im Kreis der höchste Krankenstand in der Altersgruppe von 60 bis 64 Jahren, der niedrigste in der Altersgruppe von 30 bis 34 Jahren. Bei den Frauen lag der höchste Krankenstand ebenfalls zwischen 60 bis 64 Jahren, der niedrigste im Alter von 35 bis 39 Jahren.
Keine Krankenquote kann die Stadt Witten (1500 Beschäftigte) als einer der größten Arbeitgeber aktuell nennen. Zum einen lägen die Daten zum gewünschten Stichtag nicht vor. Zum anderen erhebe man sie für den interkommunalen Vergleich – anders als die Krankenkassen – für alle Mitarbeitenden ab dem ersten Tag der Erkrankung, auch für die, die nicht bei den gesetzlichen Krankenkassen versichert sind, vor allem Beamte. Krankheitsursachen dürfe die Stadt ohnehin nicht wissen. Für einen Vergleich müsse man also eine Sondererhebung erstellen.
Laut AOK gehen über 60 Prozent der Krankschreibungen auf Atemwegsinfekte zurück. Einen „rasanten Anstieg“ stellte Serviceregionsleiter Jörg Kock seit dem Wegfall der Abstands- und Hygieneregeln fest. „Auch vor Corona gab es immer mal starke Grippe- und Erkältungswellen. Doch diese außergewöhnlich hohen Krankenstände gab’s noch nie.“ Danach folgten erst Muskel- und Skeletterkrankungen (12,4 Prozent), Verdauungserkrankungen (5,3) und Verletzungen (4,8 Prozent).
Auch die BKK führt die „stark ausgeprägten Grippe- und Erkältungswellen im ersten und vierten Quartal 2022“ als Gründe an. Covid-19-Erkrankungen spielten dagegen im vergangenen Jahr nur noch eine untergeordnete Rolle. Betroffen von vielen Krankmeldungen sind fast alle Branchen.
In der Praxis von Wittens Ärztesprecher Dr. Arne Meinshausen haben sich „heute allein drei Helferinnen krank gemeldet“, so der Herbeder Allgemeinmediziner am Montag. Unter seinen Patienten stellt er momentan weniger Infekte, dafür auffallend viele orthopädische Beschwerden fest, „Rücken, Schulter, viel Bandscheibe“.
Auch psychische Leiden sind längst keine Ausnahme mehr, „Überlastung, Erschöpfung, Depressionen.“ Meinshausen sieht in der „Arbeitsverdichtung“ eine der Ursachen. Es ist zu diskutieren, wie weit all die Krisen, das derzeit Negative dies noch verschlimmern.“
Hohe Krankenquote Bei Edeka in Witten-Herbede
Bei Einzelhändler Dominik Grütter (55) sind momentan allein 15 von über 70 Beschäftigten krankgeschrieben. Auch er macht häufig „Überlastung“ als Grund für eine hohe Krankenquote aus. „Wenn ich 30 Prozent weniger Mitarbeiter habe, bleibt die Arbeit ja trotzdem dieselbe.“
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Erschwerend kommen die Urlaubszeit und der allgemeine Personalmangel hinzu. Bis zu zehn Leute könne er einstellen, sagt der Betreiber eines Edeka-Marktes. Gerade in der Fleischerei und an der Kasse braucht Grütter Verstärkung. Die Folge: Auch der Chef selbst muss öfter wieder als Metzer ran, seine Frau arbeitet ebenfalls bis zum Anschlag Der Einzelhandel ist nur eine der betroffenen Branchen.
Die Erfahrung von Mediziner Meinshausen: „Viele wollen sich nur so kurz wie möglich krankschreiben lassen. Andere, die sich auf der Arbeit ungerecht behandelt fühlen, möglichst lange.“
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