Witten. Sabrina Führer ist blind. Vorbeifahrende Radler erschrecken sie daher sehr. Das ist gefährlich. Nicht nur für die Wittenerin und ihren Hund.
Wenn die Wittenerin Sabrina Führer mit ihrem Hund die Morgenrunde dreht, ist das an sich schon nicht ganz einfach. Denn die Stockumerin ist blind. Der viele Verkehr auf der Hörder Straße, die Ampel an der Ecke Himmelohstraße, die noch immer keinen Sensor für Sehbehinderte hat, die auf den Bürgersteig wuchernden Zweige: Das alles ist für sie eine besondere Herausforderung. Aber richtig gefährlich wird es erst, wenn die 41-Jährige den eigentlich sicheren Fußweg am Feldrand erreicht hat. Denn dort rasen die Radfahrer an ihr vorbei – meistens ohne zu klingeln.
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Für die Mitarbeiterin der Uni Witten ist das ein riesiges Problem. Denn selbst, wenn sie deutlich erkennbar mit ihrem langen Blindenstock oder Hündin Reyka im Führgeschirr unterwegs ist, lebt sie in der ständigen Gefahr, angefahren zu werden oder einen Radler zu Fall zu bringen: Die Fahrer rauschen einfach vorbei. „Ich mag mir gar nicht vorstellen, was passieren würde, wenn ich aus Versehen im falschen Moment einen Schritt in die Richtung des Fahrers machen würde“, sagt sie.
Wittenerin erlebt immer weniger Rücksichtnahme
Ihr Appell an die Radler, vor dem Überholen doch bitte rechtzeitig zu klingeln, den sie schon manchem Fahrer hintergerufen hat, stößt nicht selten auf taube Ohren. „Ja, soll ich Sie jetzt auch noch erschrecken, oder was?“, sagt prompt auch eine Frau patzig, die wir beim Fototermin mit Sabrina Führer treffen. „Das hab ich schon oft gehört“, sagt die Blinde. Aber der Gedanke sei Unsinn. „Denn ich erschrecke mich nur, wenn plötzlich jemand an mir vorbeizischt.“
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Besonders problematisch findet die Stockumerin, dass der Radverkehr durch die E-Bikes nicht nur schneller geworden ist, sondern in den letzten Jahren auch deutlich zugenommen hat – die Rücksichtnahme aber zugleich deutlich weniger geworden zu sein scheint. „Und das Klingeln ist offenbar völlig aus der Mode gekommen“, klagt sie.
Gehörloser Junge wurde mehrmals angefahren
Sabrina Führer, die auch Mitglied im Leitungsteam des Blinden- und Sehbehindertenvereins ist, hat ihr Anliegen auch schon bei Facebook gepostet und sehr viel Resonanz darauf bekommen – vor allem positive. Viele Radler hätten sich für den Gedankenanstoß bedankt, die Mutter eines gehörlosen Jungen schilderte sogar, dass ihr Junge schon mehrmals angefahren worden sei. „Dem hilft natürlich auch kein Klingeln, sondern nur vorsichtiges Fahren und Bremsen“, so Führer. Schließlich gehe es auf dem geteilten Fuß- und Radweg – und nicht nur dort – doch immer um das verträgliche Miteinander.
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Überraschend viel Zustimmung erntete die Blinde mit ihrer Bitte aber sogar von Spaziergängern, die nicht sehbehindert sind. Auch Radler Ralf, der sich spontan bereiterklärt, für das WAZ-Foto an Sabrina Führer vorbeizufahren, ist dankbar, dass das Thema endlich aufgegriffen wird. Denn der 68-Jährige ist selbst oft mit dem Hund unterwegs. „Und hinten habe auch ich keine Augen“, sagt er. Klingeln oder ein freundliches Hallo würden es allen so viel einfacher machen, meint der Wittener. „Aber bitte nicht erst eine halbe Sekunde vor dem Überholen, denn da kann man nicht mehr reagieren.“
Keine Diskussion über Gut und Böse
Sabrina Führer freut sich, dass ihr Anliegen nun diskutiert wird. Die 41-Jährige betont, sie wolle auf keinen Fall eine Diskussion über Gut und Böse anzetteln, sondern nur Gedankenanstöße geben. Sie sagt: „Lasst uns doch einfach alle ein bisschen Rücksicht aufeinander nehmen, dann kommen wir alle entspannt ans Ziel.“