Witten. Seit einem Jahrhundert setzt sich der Blindenverein Witten schon für die Belange von Sehbehinderten ein. Seine Arbeit ist jetzt aktueller denn je.

100 Jahre sind eine lange Zeit: Am 7. September 1921 gründeten elf Menschen im Evangelischen Gemeindehaus in der Augustastraße die „Bezirksgruppe Witten des Westfälischen Blindenvereins e.V.“. Ein Jahrhundert später sollte dieses Jubiläum eigentlich begangen werden. Aber wegen Corona dauerte es 101 Jahre, bis jetzt endlich gefeiert werden konnte. Die Mitglieder trafen sich im Saalbau und erinnerten an die bewegte Vergangenheit des Vereins.

„Wir sind schon sehr stolz, auf so eine erfolgreiche Geschichte zurückblicken zu können“, sagt Beate Telgheder, die selbst blind ist und zum Leitungsteam gehört, bei einem Treffen kurz nach der Feier. Man habe in Witten schon früh begonnen, sich in der Stadt aktiv einzubringen und den Blinden und Sehbehinderten zu helfen.

Wittener Verein hat viele Tätigkeitsfelder

Heutzutage sei der Wittener Verein, der rund 50 Mitglieder im Alter von 19 bis 92 Jahren hat, aber nicht nur ein Akteur in der Selbsthilfe. Die Unterstützung für ein selbst bestimmtes Leben der Sehbehinderten spiele zwar weiterhin eine zentrale Rolle. Der Verein wolle aber auch viele Angebote bieten, bei denen Spaß und Geselligkeit im Vordergrund stehen. „Deswegen haben wir ja auch einen monatlichen Stammtisch sowie eine Kegel- und eine Wandergruppe“, sagt Sabrina Führer. Sie arbeitet seit 2016 im Leitungsteam aktiv mit.

Sie leiten den Blinden- und Sehbehindertenverein Witten: Daniela Buß, Beate Telgheder, Sabrina Führer und Liesel Graf v.l.), hier beim Festakt zum 101. Jubiiläum des Vereins im Wittener Saalbau.
Sie leiten den Blinden- und Sehbehindertenverein Witten: Daniela Buß, Beate Telgheder, Sabrina Führer und Liesel Graf v.l.), hier beim Festakt zum 101. Jubiiläum des Vereins im Wittener Saalbau. © FUNKE Foto Services | Barbara Zabka

Der Verein will auch für mehr Sichtbarkeit sehbehinderter Menschen in der Stadtgesellschaft sorgen. „Wir sind ein ganz normaler Teil der Bevölkerung und daher auch mit diesem Selbstverständnis in der Gesellschaft präsent“, erklärt Daniela Buß. So könne sie selbst als gelernte Bürokauffrau etwa mit Hilfe einer eingestellten Arbeitsassistenz und digitaler Möglichkeiten trotz ihrer schweren Seheinschränkung noch arbeiten.

Digitale Geräte können Sehbehinderten helfen

Grundsätzlich seien die digitalen Helfer eine große Stütze. „Es ist wirklich toll, wie sehr solche Hilfsmittel das eigenständige Leben ermöglichen können“, so Buß. „Aber natürlich geht das nur, wenn die Bereitschaft besteht, sich beispielsweise auf den Umgang mit einem Smartphone einzulassen.“ Das sei aber nicht selbstverständlich. Denn Sehbehinderungen sind heutzutage überwiegend altersbedingt. „Deshalb gibt es hier noch Hürden beim Einsatz digitaler Hilfsmittel“, erklärt Beate Telgheder.

Der Blindenverein setzt sich für die Belange der Sehbehinderten ein. Im letzten Jahr machte er etwa mit rot-weißen Pollermützen auf die Gefahr schlecht sichtbarer Poller aufmerksam. Im Vordergrund: Mitglied Brigitte Kinsky.
Der Blindenverein setzt sich für die Belange der Sehbehinderten ein. Im letzten Jahr machte er etwa mit rot-weißen Pollermützen auf die Gefahr schlecht sichtbarer Poller aufmerksam. Im Vordergrund: Mitglied Brigitte Kinsky. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Vieles hat sich im Vereinsleben in den vergangenen 100 Jahren verändert – auch im Vergleich zur Arbeit des 92-jährigen Ehrenvorsitzenden Karl Blume, der über siebzig Jahre aktiv war. Früher sei die Hilfe eher auf den privaten Bereich ausgerichtet gewesen, so das Leitungsteam. Inzwischen erfahre das Thema „Inklusion“ auch durch die Medien mehr Aufmerksamkeit.

Organisationen würden auch in den sozialen Netzwerken anfangen, auf blindengerechte Bedienung mit einem sogenannten Alternativtext zu achten. Dieser beschreibt die Bilder und wird automatisch vorgelesen. „Überall, wo ich hinkomme, wird deutlich sensibilisierter über Behinderungen gesprochen. Einerseits ist das gut. Andererseits führt das natürlich auch zu Hemmungen, sich uns gegenüber frei zu äußern“, sagt Daniela Buß. Falsche Scham sei für ein offenes Zusammenleben hinderlich. Buß: „Dabei leben wir größtenteils autonom und verstehen uns als ein selbstverständlicher Teil dieser Stadt.“

Wittener Verein bittet um Spenden

Doch um dieses Selbstverständnis zu erreichen, sei auch eine behindertengerechte Umgebung wichtig, betonen die Mitglieder des Leitungsteams. Daher sei es toll, dass der Verein an Bauvorhaben und Planungen der Stadt und der Stadtwerke beteiligt werde. Zumindest geschehe das immer öfter. Auch die Kooperation mit anderen Organisationen, etwa dem Rotary Club oder der Bogestra, klappe prima.

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Doch es gibt auch einen Wermutstropfen. „Unsere ehrenamtliche Arbeit wird nur wenig durch Mitgliedsbeiträge und Unterstützung durch die Krankenkassen finanziert“, sagt Beate Telgheder. Daher sei der Verein von Spenden abhängig. „Grundsätzlich freuen wir uns über jede Art der Unterstützung.“