Witten. Ein Arztmobil steht regelmäßig bei der Tafel in Witten. Hier werden Obdachlose und Bedürftige kostenlos behandelt – auch ohne Krankenkarte.

Hinter dem Gebäude der Tafel in Witten parkt an jedem zweiten Mittwoch ein blauer Kleintransporter, von der Straße aus kaum sichtbar. „Arztmobil“ steht in weißen Buchstaben auf der Motorhaube. So diskret wie der Standort ist auch die Behandlung. Denn hier versorgt ein ehrenamtlich arbeitender Mediziner obdachlose, geflüchtete und arme Menschen.

Wer sich in dem ehemaligen Rettungswagen untersuchen lassen möchte, braucht dafür keine Krankenversicherungskarte. „Ich mache auch keine Bedürftigkeitsprüfung“, sagt Dirk Hannemann, der bis Mitte 2020 als Hausarzt in Bommern niedergelassen war. Wichtig sei ihm, dass die Menschen hier genau die gleiche medizinische Hilfe bekommen wie in einer regulären Praxis. „Ich mache da keinerlei Abstriche.“ Bei Bedarf könne er auch an befreundete Fachärzte vermitteln.

Nur wenige Obdachlose in Witten im Vergleich zu anderen Städten

Dr. Dirk Hannemann vom Arztmobil der Diakonie engagiert sich ehrenamtlich und behandelt obdachlose, geflüchtete und arme Menschen aus Witten kostenlos. Auch für Medikamente muss hier niemand etwas bezahlen.
Dr. Dirk Hannemann vom Arztmobil der Diakonie engagiert sich ehrenamtlich und behandelt obdachlose, geflüchtete und arme Menschen aus Witten kostenlos. Auch für Medikamente muss hier niemand etwas bezahlen. © FUNKE Foto Services | Lara Förster

Seit Mai vergangenen Jahres ist der Wittener Mediziner zweimal im Monat mit der mobilen Praxis auf dem Parkplatz der Tafel zu Gast. Während Corona pausierte das Angebot, das von der Diakonie Mark-Ruhr getragen wird. „Obwohl es da ja eigentlich am nötigsten gewesen wäre.“ Und bis jetzt sei es auch noch nicht wieder richtig angelaufen.

Hannemann führt das zum Teil darauf zurück, dass es in Witten auch viele Kollegen gebe, die auch mal ein Auge zudrücken würden, wenn jemand ohne Krankenversicherung in ihrer Praxis erscheine. Andererseits gebe es in der Ruhrstadt auch einfach weniger akut Obdachlose als in anderen Städten. In Hagen etwa, wo das Arztmobil auch unterwegs ist, sei der Bedarf viel größer, erzählt Rüdiger Finck (70), der die Praxis auf vier Rädern seit sieben Jahren von einem Einsatzort zum nächsten fährt.

Hilfe für die Ärmsten der Gesellschaft

Rüdiger Finck vor dem ehemaligen Rettungswagen, der nun als mobile Praxis dient. Der 70-Jährige fährt seit sieben Jahren zu seinen Einsatzorten und sorgt für den technischen Support.
Rüdiger Finck vor dem ehemaligen Rettungswagen, der nun als mobile Praxis dient. Der 70-Jährige fährt seit sieben Jahren zu seinen Einsatzorten und sorgt für den technischen Support. © FUNKE Foto Services | Lara Förster

In Witten helfe man mit dem Angebot eher den Ärmsten der Gesellschaft, sagt deshalb auch Dirk Hannemann. Denn Medikamente, die in der Apotheke frei verkäuflich sind, erhalten Kranke hier kostenlos. Muss es ein verschreibungspflichtiges Arzneimittel sein, kann der 57-Jährige ein Privatrezept ausstellen. Dieses kann dann in der kooperierenden Burg Apotheke eingelöst werden, die Diakonie übernimmt die Kosten. Oft würden deshalb auch Menschen bei ihm Hilfe suchen, die sich die Zuzahlung für ein vom Hausarzt verschriebenes Medikament nicht leisten könnten.

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So wie die Frau, die ihren Einkauf bei der Tafel mit einem Besuch im Arztmobil verbunden hat. Die 50-Jährige ist sechsfache Mutter, eines ihrer Kinder hat eine Behinderung und wird von ihr gepflegt. Zeit für einen Arztbesuch bleibt da selten. „Sie schaut nach allen, aber nicht nach sich“, sagt Hannemann. Also tut er es, zumindest ab und zu.

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Patienten sind überrascht, dass sich jemand Zeit für sie nimmt

Wer den Schritt ins Arztmobil wagt, der sei meist erst recht unsicher, erzählt der Allgemeinmediziner. „Solche Menschen sind meist nur Stress gewohnt.“ Oder abschätzige Blicke. Auch seien viele überrascht davon, dass sich jemand Zeit für sie nehme. So wie der junge Mann, der sich an diesem Tag zum ersten Mal in der mobilen Praxis hat untersuchen lassen. Seit Anfang des Jahres sei er obdachlos, zelte aktuell auf dem Hof einer Freundin, erzählt er. Auch die Unterstützung durchs Amt sei ausgelaufen, damit fehle ihm nun auch die Krankenversicherung.

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„Ich komme jeden Tag zum Frühstücken zur Tafel“, erzählt der 35-Jährige. Doch er leide an Morbus Crohn, müsste eigentlich auf seine Ernährung achten, um die chronisch-entzündliche Darmkrankheit im Griff zu behalten. Aber in seiner aktuellen Situation esse er eben, was er bekomme. Mit negativen Auswirkungen für seine Gesundheit.

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Regelmäßig sucht auch eine 73-jährige Wittenerin Hilfe im Arztmobil. Im vergangenen März habe sie ihren Lebenspartner verloren, erzählt sie. Danach habe sie die gemeinsame Wohnung verlassen müssen. Seitdem lebte sie abwechselnd bei Bekannten, seit Kurzem nun aber ganz auf der Straße. Ihr Hab und Gut ist auf einem kleinen Wägelchen drapiert. Lebensmittel holt sie sich bei der Tafel „oder aus der Tonne“. Für das Arztmobil hat sie nur lobende Worte. ,„Die Leute sind toll, man kann froh sein, dass es so etwas gibt“, sagt sie. Und vor allem: „Man wird hier behandelt wie ein Mensch.“

Notunterkunft am Mühlengraben

Das Arztmobil steht jeden zweiten Mittwoch von 10 bis 12 Uhr auf dem Parkplatz der Tafel, Herbeder Straße 22. Nächster Termin: 5. April. Mediziner Dirk Hannemann würde die mobile Praxis gerne auch an anderen Orten in der Stadt halten lassen. Zum Beispiel vor der städtischen Obdachlosenunterkunft am Mühlengraben. „Ich kann mir vorstellen, dass dort Bedarf vorhanden ist.“

In den beiden Häusern können bis zu 40 Menschen unterkommen. Betreut werden sie dort durch einen Sozialarbeiter der Caritas. 2021 und 22 hatte die Stadt insgesamt 250.000 Euro in die Renovierung und Sanierung der Unterkunft investiert.

Hilfe und Unterstützung finden Menschen in Wohnungsnot auch bei der Beratungsstelle der Diakonie an der Röhrchenstraße 10. Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 8.30 Uhr bis 12 Uhr.

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