Witten. Zum zweiten Mal in diesem Jahr hat Verdi den öffentlichen Nahverkehr in Witten lahmgelegt. Der Warnstreik und seine Folgen an diesem Morgen.
Der zweite Warnstreik von Verdi hat am Dienstagmorgen einige Fahrgäste im öffentlichen Nahverkehr kalt erwischt – im wahrsten Sinne des Wortes. Manche Schüler und Berufspendler frieren an den Haltestellen, andere haben Glück – und erwischen tatsächlich einen der wenigen Busse, die fahren.
Der 371er fährt wie gewohnt zur Uni Witten/Herdecke
Fangen wir mit den Glücklichen an. Die sitzen im warmen 371er, der wie gewohnt jede Viertelstunde über Stockum nach Dortmund-Oespel rollt. Morgens um halb acht fahren viele Studentinnen und Studenten mit, etwa Canel (26) und Hjördis (24), die an der Wittener Uni Zahnmedizin studieren „Wir dachten, die streiken nur im Rheinland“, sagt Hjördis. Angesichts steigender Lebenshaltungskosten haben sie Verständnis für den Warnstreik und die Forderung der Gewerkschaft nach 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 500 Euro monatlich. „Darunter leiden wir Studenten ja auch, wie teuer alles geworden ist“, sagen die beiden jungen Frauen.
Im Bus weiter vorne sitzt Robert (59), der zu seiner Arbeitsstelle als Kommissionierer nach Dortmund muss. Er weiß auch, warum der VER-Bus heute fährt. „Das ist eine Fremdfirma, die gehört nicht zu Verdi.“ Killer bedient an diesem Tag die Linie. Wobei die VER als Auftraggeberin auch nicht aufgerufen war und teilweise im EN-Kreis den Schülerverkehr übernimmt, anders als die Bogestra, die in Witten federführend ist und komplett bestreikt wird. Bei ihr kommen diesmal ausdrücklich auch keine Fremdfirmen zum Zuge. Robert hat ebenfalls Verständnis für die Streikenden. „Die Preise sind enorm gestiegen. Aber wir verdienen noch genauso wenig wie früher.“ Er glaubt an einen Tarifabschluss, der bei „sechs, sieben Prozent“ liegen wird.
Knotenpunkt „Marienhospital“ verwaist
Wir steigen am Marien-Hospital aus, einem Knotenpunkt für sechs Linien, der heute verwaist ist. Shirin ist entsetzt, als sie hört, dass der 320er nach Rüdinghausen heute nicht kommt. „Was, wie komme ich denn dann zur Arbeit?“, ruft die 25-Jährige, die in einem Architekturbüro tätig ist. Auch Souad (48) wird von dem Ausstand kalt erwischt. Die Integrationshelferin an einer Schule muss nach Bochum. „Ich muss meinem Arbeitgeber eine Mail schicken“, sagt sie und tippt mit ihren kalten Fingern eine Nachricht ins Handy. Sie hat den Streikhinweis auf ihrer VRR-App gar nicht gesehen. Normalerweise hätte sie die Straßenbahn oder den 379e genommen. Die fahren aber erst wieder am nächsten Morgen.
Wir laufen zurück in die Innenstadt. Unterwegs kommen uns mehr Taxis als üblich entgegen. An der Synagogenstraße treffen wir Thai (16), der trotz der Minustemperaturen an diesem Morgen mit dem Fahrrad aus Annen zur Schule gekommen ist. Normalerweise nimmt er den Bus. Hat er Verständnis für die Streikenden? „Ich kann sie zwar verstehen, finde es aber trotzdem rücksichtslos“, sagt der Schüler des Ruhr-Gymnasiums. Zwei Mädchen aus Bommern, die von den Eltern gebracht wurden, nun aber zu früh in der Schule sind, laufen in die City. Ihr Ziel ist ein Billigbäcker. „Das Schülercafé ist noch zu.“
An der Wideystraße warten der kleine Ben (5) und Vater Dennis (28) auf den 592er Richtung Wetter, einer der wenigen Busse, die von einem Privatunternehmen (Groeger) gefahren werden. Minutenlang frieren sie an der Haltestelle. „Ich hab schon ganz kalte Hände“, sagt der Junge mit der Pudelmütze. Der alleinerziehende Vater ist auf den Bus angewiesen – und die Kita in Bommern, wo sein Sohn bis zum Nachmittag betreut wird. Minuten bangen Wartens vergehen. Dann kommt der weiße Bus mit etwas Verspätung. Der Tag ist für beide gerettet.