Witten. Serdar Aydin war acht Tage als ehrenamtlicher Helfer im Krisengebiet in der Türkei. Was er dort Bewegendes erlebt hat, erzählt er hier.
Bei klirrend-kalten -15 Grad harrt Serdar Aydin nachts im Schlafsack im Auto aus. Es ist die Angst vor dem Einsturz weiterer Häuser, die den Wittener Helfer im türkischen Erdbebengebiet während der acht Tage seines ehrenamtlichen Einsatzes umtreibt. Nein, so richtig begreifen kann der 32-Jährige noch nicht, was er in Kahramanmaras – mitten im Epizentrum des Erdbebens, rund 100 Kilometer von der Grenze zu Syrien entfernt – erlebt hat. Erst seit wenigen Tagen ist Serdar Aydin zurück in Deutschland.
Als er am 6. Februar von dem schweren Erdbeben erfährt, das in der Türkei und Syrien Verwüstungen hinterlassen hat, steht für den 32-jährigen Betriebsleiter des Kaisersaals in Herne schnell fest: Er will helfen. Er wendet sich an die „WEFA - Humanitäre Organisation“. Die 2006 gegründete Hilfsorganisation mit Hauptsitz in Köln hat sich darauf spezialisiert, in Krisengebieten humanitäre Hilfe zu leisten.
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Wittener reist mit zwei Bekannten ins Epizentrum des Erdbebens
Ab da geht alles ganz schnell. Serdar Aydin fragt zwei Bekannte, ob sie mit in die Türkei fliegen würden – sie sagen ja. „Mir war wichtig, dass ich Kollegen an meiner Seite habe, die ich gut kenne und von denen ich weiß, dass sie psychisch belastbar sind“, sagt Aydin.
Sie reisen nach Kahramanmaras, eine Stadt im Süden von Anatolien, die besonders schwer von dem Erdbeben getroffen wurde. Was Aydin dort sieht, kann er nur schwer in Worte fassen. Über einiges davon möchte er auch nicht reden – zu frisch sind die schockierenden Eindrücke. „Man versucht sich auf die Lebenden und deren Bedürfnisse zu konzentrieren“, sagt er. „Man funktioniert für die Aufgabe und verdrängt dafür vieles.“
Serdar Aydin hilft unter widrigen Bedingungen
Unter anderem auch die Bedingungen, unter denen er in Kahramanmaras arbeiten muss. Denn nicht nur die Schlafsituation ist für die Helfer vor Ort alles andere als einfach. Eine einzige Kekspackung muss für 15 Personen als Mahlzeit reichen. Doch gerade das sind die Momente, die Aydin als besonders beeindruckend in Erinnerung behalten hat: „Wir waren ja mit vielen Leuten von anderen Hilfsorganisationen zusammen und da war es keine Frage, alles zu teilen, obwohl man sich gar nicht kannte. Das war schön zu sehen, wie sowohl die Helfer, als auch die Bewohner in der Region sich gegenseitig unterstützt haben.“
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Das entschädigt Aydin für seinen Dauereinsatz, wie er sagt. „Wir haben pro Nacht vielleicht zwei oder drei Stunden geschlafen, ansonsten haben wir durchgearbeitet, weil es einfach so viel zu tun gab.“ Lebensmitteltüten packen, diese verladen, dann ins Auto und die Lieferungen in den umliegenden Dörfern an die Bewohnerinnen und Bewohner verteilen. „20 Stunden werden es pro Tag schon gewesen sein, die wir im Einsatz waren“, schätzt er.
Aydin fliegt in wenigen Wochen erneut nach Kahramanmaras
Eine Situation ist ihm dabei in besonderer Erinnerung geblieben. In einem der Dörfer trafen sie auf viele Kinder, die ihnen umgehend in die Arme fielen. „Denen haben wir Süßigkeiten und Spielsachen mitgebracht“, erzählt Aydin. „Zu sehen, wie diese Kinder sich direkt zwischen den Haustrümmern hingesetzt und gespielt haben und die Zerstörung um sie rum für einen Moment vergessen konnten, war das Emotionalste, was ich dort erlebt habe.“
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Auch wenn Aydin acht Tage im Dauereinsatz war, als erledigt sieht er seine Aufgabe in Kahramanmaras nicht an. Dementsprechend schwer fiel ihm die Abreise. „Als wir mit dem Auto drei Stunden zurück zum Flughafen gefahren sind und man die ganze Verwüstung gesehen hat, ist mir erstmal bewusstgeworden, was die Menschen hier in den kommenden Monaten noch vor sich haben.“
Umso dankbarer ist Aydin für sein Leben in Deutschland. „Man freut sich über jedes Glas Wasser und jedes Gespräch, das man mit seiner Familie in Sicherheit und Ruhe führen kann.“ Seine Familie und Freunde sind es auch, die ihm helfen, dass Erlebte zu verarbeiten, bevor er in wenigen Wochen noch einmal nach Kahramanmaras fliegt. Weiter zu helfen, wo es nur geht, ist ihm ein großes Anliegen. Und er hofft, damit auch ein Vorbild zu sein: „Ich hoffe, dass jeder, dem es finanziell möglich ist, weiter für die Betroffenen in der Türkei und Syrien spendet. Denn der Wiederaufbau kommt erst noch.“
Für diejenigen, die an die Opfer des Erbebens spenden möchten, hat Serdar Aydin einen Rat: „Am besten sind gerade Geldspenden, weil die Helfer die benötigten Sachen dann direkt vor Ort kaufen und verteilen können. Das geht schneller, als wenn die Hilfsgüter erst von Deutschland in die Türkei und nach Syrien transportiert werden müssen.“
Auch die Hilfsorganisation, mit der Aydin in Kahramanmaras war, sammelt Spenden. Hier geht es zur Webseite der WEFA.
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