Witten. Vor einer Woche erschütterte das schwere Erdbeben die Türkei und Syrien. Wie ein Wittener Kfz-Betreiber und die türkische Gemeinschaft helfen.
Seit einer Woche hat Ali Baba, Kfz-Werkstatt-Betreiber aus Annen, nicht mehr richtig geschlafen. In seinem Büro steht er an der Kaffeemaschine, während heißer Kaffee in einen Becher aus Pappe läuft. „Ich kriege einfach kein Auge zu“, sagt er, den Blick starr nach unten gerichtet. Der 35-Jährige hat in der letzten Woche dafür gesorgt, dass von Witten aus fünf Lkw in Richtung Türkei abfahren, einer nach Syrien.
An diesem sonnigen Montag, eine Woche nach dem tragischen Erdbeben im Süden seines Heimatlandes, wartet der Kfz-Gutachter auf den vorübergehend letzten Lkw. Noch am selben Abend wird Ali Baba selbst in ein Flugzeug Richtung Gaziantep steigen und von da aus in sein Heimatdorf Pazarcik aufbrechen, ein kleines Dorf in der Nähe von der Großstadt Kahramanmaras, direkt am Epizentrum der Katastrophe. Die Frage, ob er Angehörige verloren hat, erübrigt sich damit. Seine Eltern haben die Katastrophe überlebt, doch viele andere Verwandte des jungen Türken nicht.
Enorm große Vernetzung
Mitarbeiterin Birsen Günesli unterstützt ihren Chef, wo sie kann, gemeinsam mit vielen weiteren Helferinnen und Helfern, nicht nur aus Witten, sondern auch aus Bochum, Dortmund und Duisburg, verschiedenster Nationalitäten. „Die Vernetzung ist enorm, wir haben Whatsapp-Gruppen gebildet, auf Instagram die Spendenaktion geteilt und am Ende waren wir hunderte von Leuten“, erzählt die 44-Jährige.
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Nicht nur in der großen Halle der Kfz-Werkstatt an der Annenstraße stapelten sich Kartons und Tüten voller Kleidungsstücke, Elektrowaren, Hygieneartikel, Lebensmittel und Erste-Hilfe-Kitts bis unter die Decke. Auch das Böhmer-Gelände ein paar Häuser weiter konnten die Helferinnen und Helfer nutzen, um die Lkw zu beladen.
„Man hört es von anderen und leidet mit“
Der Wittener Taner Celik ist einer von ihnen. Er selbst hat Verwandte in der Nähe von Ankara, eine Region, die vom Erdbeben weitestgehend verschont geblieben ist. „Aber ich habe viele Freunde, die direkt betroffen sind. Eine Freundin hat bis auf ihre Eltern viele ihrer Verwandten verloren – Tanten, Großtanten, Onkel“, sagt der 27-Jährige. Direkt am Tag der Katastrophe zog er mit weiteren Helferinnen und Helfern los und kaufte alles, was er vorübergehend für sinnvoll hielt: Babynahrung, Batterien und Hygieneartikel. Noch am Montagnachmittag beluden sie den ersten Lkw.
Zunächst sei alles noch etwas chaotisch gewesen. „Aber es ging dann sehr schnell, dass wir ein eingespieltes Team waren, ohne einander zu kennen. Das war ein unfassbar starkes Gemeinschaftsgefühl – natürlich mit einem bitteren Beigeschmack“, erzählt Taner. Das Schlimmste sei in den darauffolgenden Tagen die Frage „Wie geht es dir“ gewesen. „Selbst wenn keine nahen Angehörigen gestorben sind, man hört es von anderen und leidet mit“, sagt der Student.
Medikamente und Zelte fehlen
Von morgens bis abends haben die Helferinnen und Helfer in der letzten Woche die Spenden verpackt und Lkw beladen. Eine Woche später hat sich die Situation deutlich gelichtet: Nur noch mehrere Dutzend Kartons stehen an einer Seite der Halle, ansonsten parken wieder Autos zur Reparatur in der Werkstatt und die Autoreifen stapeln sich. Das heißt jedoch keinesfalls, dass die Menschen im Katastrophengebiet nun ausreichend versorgt sind. „Die Regierung bietet kaum Unterstützung und es fehlt aktuell vor allem an Medikamenten und Zelten. Die meisten Leute müssen unter freiem Himmel schlafen“, sagt Birsen Günesli.
Welche Spenden noch benötigt werden
Welche Spenden werden benötigt? Helferin Nurcan gibt den Tipp: „Wer etwas tun möchte, sollte Geld spenden.“ Am besten sei es sogar, an große Organisation, wie das Deutsche Rote oder österreichische Kreuz, zu spenden. „Die können noch viel schneller handeln als die kleinen Organisationen.“ Es sei egal, wie hoch der Betrag ist – ob ein, fünf, oder zwanzig Euro. „Jeder Euro macht schon einen Unterschied.“
Benötigt werden in der Türkei und Syrien nun vor allem Zelte, Medikamente, Hygieneartikel und Lebensmittel.
Helferin Fatima will am Mittwoch zum Ort der Katastrophe fliegen. „Ich bin keine Ärztin, aber ich kann Essen verteilen“, erklärt die 32-Jährige. Ihre große Schwester Nurcan ist besorgt: „Es ist richtig, dass sie helfen möchte. Aber sie wird dort schreckliche, verstörende Bilder sehen – außerdem gibt es immer wieder Nachbeben.“ Auch Kfz-Bertreiber Ali Baba wird in seinem Heimatdorf Pazarcik ein Bild der Zerstörung erwarten. Bis er wieder richtig schlafen kann – es wird wohl noch einige Zeit vergehen.