Witten. Materialmangel, steigende Baukosten: Viele Bauprojekte in Witten werden zurzeit abgesagt. Architekt Andreas Schüren zeichnet ein düsteres Bild.

Wenn es ums Bauen in Witten geht, kommt man am Architekturbüro Frielinghaus/Schüren nicht vorbei. Auf das Konto der Projektentwickler gehen der Umbau von Denkmälern – etwa der Hauptbahnhof Witten und demnächst der Wuppertaler Hauptbahnhof, der Neubau des Medizinzentrums an der Pferdebachstraße aber auch von Wohnsiedlungen wie am Bebbelsdorf oder Stockum (Himmelohstraße, Rosentalring). Welche Wohnformen zukünftig in Witten entstehen? Da fällt die Prognose von Architekt Andreas Schüren eher düster aus.

Wenn die Bundesregierung jährlich 400.000 neue Wohnungen bauen möchte, wie viele davon werden in Witten entstehen?

Andreas Schüren: Dieses Ziel werden wir definitiv nicht erreichen, sofern von der Politik keine Anreize gegeben werden. Der Neubau von Mietwohnungen ist fast tot, auch in Witten. Das liegt an steigenden Zinsen, Bau- und Energiekosten. Viele Wohnungsgenossenschaften haben ihre neuen Bauprojekte vorerst eingestellt. Die Aktivitäten, die sie jetzt in Witten sehen, sind in den Jahren 2019, 2020 geplant worden, als es noch ganz andere Bedingungen gab.

Spüren auch Sie einen Auftragsrückgang?

Definitiv. Etliche Planungsaufträge werden zurückgezogen und es ist nicht einfach, das zu kompensieren. Wir sind glücklicherweise sehr breit aufgestellt, setzen Eigenmaßnahmen um und haben eine Expertise im Bereich Denkmalschutz. Das können wir auch zukünftig bedienen.

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Wenn Sie kaum Chancen für Mietwohnungen sehen, wie steht es dann um den Eigentumsneubau?

Die letzten zehn Jahre waren aber sehr geprägt durch den Wohnungsbau, zum großen Teil lag das an Bauträgerprojekten. In der Niedrigzinsphase sind außerdem viele Versicherungen oder Banken in den Wohnungsmarkt eingestiegen und haben komplette Projekte gekauft. Für Privatanleger gab es kaum eine Chance, sich eine Wohnung auf dem freien Markt zu kaufen. Das wird sich ändern. Denn für viele Eigentümer wird es ein Kraftakt sein, eine Anschlussfinanzierung zu stemmen.

Was glauben Sie: Wo entsteht in Witten zukünftig neuer Wohnraum?

Jeder Welle folgt die nächste Welle. Das Innenstadtwohnen hat seinen Zenit erreicht. Es sind wieder die ländlichen Strukturen gefragt. Das kommt durch den Trend zum Homeoffice. Da, wo es geht, werden auch künftig bestimmt 50 Prozent der Arbeitszeit daheim verbracht. Deswegen sind fürs Bauen nun die Randbereiche attraktiv, in denen die Infrastruktur stimmt, etwa Glasfaser und eine gute Anbindung an den Nahverkehr.

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Und wie werden wir wohnen? Werden bei steigenden Baukosten die Standards gesenkt?

In den letzten 30 Jahren ist das Bauen extrem teuer geworden. Die technischen Anforderungen sind gestiegen, aber auch die Ansprüche der Bewohner. Wo früher 25 Quadratmeter pro Kopf reichten, müssen es jetzt über 50 sein. Jeder möchte einen Balkon und jeder einen Stellplatz fürs Auto. Wir werden uns rückbesinnen müssen. Wenn wir wegen der steigenden Baukosten sparen, hat das im Gegenzug aber einen positiven Effekt auf den Klimawandel.

Als großer Trend gilt das nachhaltige Bauen. Was meint das?

Jedes Material wird auf seinen Lebenszyklus hin untersucht. Energiereiche Baustoffe wie Beton gelten dabei als negativ. Den Wandel sieht man auch bei Heizsystemen. Tiefenkollektoren gelten als effektiver als Luftkollektoren. In den 30 Wohnungen, die zurzeit an der Ruhrstraße in der Maschinenfabrik Scharfen entstehen, heizen wir mit Erdwärme und zusätzlich einer Gastherme, die aber erst bei Minusgraden zusätzlich heizt. Das Grundwasser wird auch im Sommer in die Fußbodenheizung geleitet. Es hat dann etwa 16 Grad und bei Hitze einen kühlenden Effekt. Ich glaube, so etwas wird es in Zukunft viel öfter geben.