Witten. In Corona-Zeiten arbeiten viele zuhause. Eine Studie, an der ein Wissenschaftler aus Witten beteiligt ist, zeigt die Vor- und Nachteile auf.
Homeoffice - seit Ende Januar ist die „Heimarbeit“ Pflicht in Unternehmen, dort, wo die Tätigkeit es zulässt und der jeweilige Mitarbeiter dies möchte. Für die Bundesregierung ist die Arbeit von zuhause aus ein wichtiger Baustein in der Pandemie-Bekämpfung. Die Bertelsmann-Stiftung in Gütersloh und das Reinhard-Mohn-Institut der Universität Witten/Herdecke wollten wissen: Wie arbeiten Führungskräfte in ganz Deutschland in Corona-Zeiten und wie bewerten sie die Arbeit im Homeoffice? Ein Ergebnis der Studie: „Heimarbeit“ führt zu keinem Verlust an Produktivität - sagen die meisten Chefs.
Für den „Führungskräfte-Radar“, den Prof. Guido Möllering, Direktor des Wittener Reinhard-Mohn-Institutes, und Martin Spilker von der Bertelsmann-Stiftung erstellt haben, wurden rund 1000 Führungskräfte aus ganz Deutschland befragt. Vertreter von Kleinst- bis zum Großunternehmen konnten sich - branchenübergreifend - äußern zu ihren Erfahrungen in der Zeit zwischen dem Frühjahr und Herbst vergangenen Jahres. Bei einer Online-Befragung durch das Marktforschungsunternehmen Ipsos wurden Chefs im September und Oktober letzten Jahres 130 Fragen gestellt. Antworten sollten sie etwa auf Aussagen geben wie „Ich bekomme weniger mit, woran meine Mitarbeiter arbeiten.“ Oder: „Meine Mitarbeiter tauschen sich weniger aus als sonst.“ Wirtschaftswissenschaftler Möllering: „Beantwortet werden konnten die Fragen auf einer Skala zwischen eins und fünf. Eins bedeutet: Ich stimme nicht zu, fünf: Ich stimme sehr stark zu.“
Wirtschaftswissenschaftler aus Witten: Auch die meisten Führungskräfte schätzen es, im Homeoffice mehr Zeit für die Familie zu haben
Die Befragung zeigte: In der Pandemie haben sich neue, digitale Arbeitsformen bewährt. Viele Befürchtungen, wie etwa eine geringere Produktivität, sind aus Sicht der Befragten nicht eingetreten. Fast die Hälfte der für die Studie befragten Chefs und deren Mitarbeiter arbeiteten vorwiegend im Homeoffice. Auch die meisten Führungskräfte schätzten es, dadurch mehr Zeit für die Familie zu haben, „weil man nicht mehr mit dem Auto zur Arbeit pendeln muss“, so Möllering. Nur ein Viertel der Führungskräfte sei sich nicht sicher, ob ihr Team von zuhause aus genauso produktiv sei wie im Unternehmen.
Dennoch drohe aus einer anderen Richtung Gefahr, betont Martin Spilker, Experte für Führung und Unternehmenskultur bei der Bertelsmann Stiftung. „Auch wenn im ersten Pandemie-Halbjahr Arbeitsprozesse funktioniert haben“, könne in Homeoffice-Zeit der emotionale und soziale Kontakt zwischen Führung und Mitarbeitern abreißen. Die Studie ergab: Über 44 Prozent der Führungskräfte sind der Ansicht, dass Mitarbeiter im Homeoffice sich weniger austauschen können. Sie fürchten, dass die Identifikation mit der Organisation oder dem Team, in dem man arbeitet, sinken könnte.
„Kleine und kleinste Firmen sind in Corona-Zeiten mehr unter Druck“
Prof. Guido Möllering schlägt vor, einfache, neue Wege zu beschreiten. Zwar könnten Mitarbeiter im Homeoffice nicht mehr gemeinsam in die Mittagspause gehen, sich aber auch digital austauschen. „Man kann das berufliche Online-Meeting zum Beispiel einfach eine Viertelstunde eher starten, um dafür Zeit zu haben.“ Stichwort: virtuelle Kaffee- oder Mittagspausen. Rund 43 Prozent der Chefs gaben in der Befragung jedoch an, dass sie und ihre Mitarbeiter möglichst bald wieder hauptsächlich im Büro arbeiten möchten. Ein Wunsch, der in Corona-Zeiten sobald nicht in Erfüllung gehen wird. Das Homeoffice werde weiter zum Arbeitsleben gehören, betont Wirtschaftswissenschaftler Möllering. Die Unternehmen stehen vor der Aufgabe, dafür zu sorgen, dass es zu keiner Spaltung der Belegschaften komme - zwischen denen, die von daheim und denen, die im Büro arbeiten.
Wittener Institut beschäftigt sich mit neuen Arbeitsformen
Der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Guido Möllering ist seit 2016 Direktor und Lehrstuhlinhaber am Reinhard-Mohn-Institut für Unternehmensführung (RMI) an der Universität Witten/Herdecke. Zu den inhaltlichen Schwerpunkten des RMI zählen auch neue Führungs- und Arbeitsformen im digitalen Zeitalter. An der Homeoffice-Studie nahmen 1010 Führungskräfte teil. Fast 70 Prozent der Befragten sind männlich, der Altersdurchschnitt liegt bei 50 Jahren. Die Studien-Teilnehmer arbeiten zu 23 Prozent in Kleinst- und kleinen Unternehmen, zu 35 Prozent in mittleren Unternehmen und zu 42 Prozent in Großunternehmen, womit die Studie größere Unternehmen überproportional abbildet. Die Befragten stammen zu 56 Prozent aus dem mittleren Management. 33 Prozent sind auf einer unteren, elf Prozent auf der obersten Führungsebene tätig.
Der Wittener Professor weiß auch: „Kleine und kleinste Firmen sind in Corona-Zeiten mehr unter Druck als große Unternehmen.“ So gebe es bei kleinen Betrieben die Sorge, die Krise womöglich nicht zu überstehen. Es fehle dort auch das Personal, das sich ausschließlich um das Thema Pandemie kümmern könne. „Dafür können kleine Unternehmen keine Task-Force bilden.“ Ihr Vorteil sei jedoch, oft schnell und pragmatisch handeln zu können. „Da werden dann schnell Coronaschutzmasken an die Mitarbeiter verteilt, ohne dass sich das in einer Pressemeldung niederschlägt.“