Witten. Gekommen, um nicht zu bleiben: Die Suceskas kamen einst als „Gastarbeiter“ nach Witten. Sohn Armin engagiert sich heute für die bosnische Kultur.

Vor 30 Jahren brach in der Heimat von Armin Suceskas Eltern Krieg aus. Damals lebten sie schon zwei Jahrzehnte als „Gastarbeiter“ in Deutschland. Der Krieg zerstörte Dörfer und Städte in ihrem Heimatland. Doch er brachte sie auch ihrer bosnischen Kultur näher.

Im Jahr 1972, vor 50 Jahren, kam Armin Suceskas Vater Hajrudin aus Bosnien, das damals eine Teilrepublik Jugoslawiens war, nach Deutschland. Vier Jahre später folgte seine Mutter Pasa. Ihr Plan: Ein paar Jahre als „Gastarbeiter“ Geld verdienen – der Vater als Stahlbauschlosser, die Mutter als Kranführerin – und sich damit später in der Heimat eine Existenz aufbauen. Doch stattdessen blieben beide, gründeten eine Familie und leben bis heute in Witten.

Suceska wuchs im Schöntal mit vielen anderen „Gastarbeiter“-Kindern auf

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Lange wohnte die Familie Suceska im Schöntal in Wetter (Ruhr), gemeinsam mit vielen anderen „Gastarbeiter“-Familien verschiedener Nationalitäten. „Das war ein Multi-Kulti-Viertel hoch zehn“, sagt Armin Suceska. Den Begriff „Multi-Kulti“ empfindet er nicht als abwertend, im Gegenteil: „Multi-Kulti ist für mich dieses Miteinander. Und das hat mich sehr geprägt.“ In der Siedlung habe es ein starkes Gemeinschaftsgefühl gegeben, alle hätten miteinander geteilt und aufeinander Acht gegeben.

Hajrudin und Pasa Suceska kamen 1972 nach Deutschland. Als „Gastarbeiter“ wollten sie Geld verdienen, um sich in ihrer Heimat Bosnien etwas aufzubauen.
Hajrudin und Pasa Suceska kamen 1972 nach Deutschland. Als „Gastarbeiter“ wollten sie Geld verdienen, um sich in ihrer Heimat Bosnien etwas aufzubauen. © Suceska

Schon früh habe er dort die wichtigste Regel gelernt: Respekt haben vor der jeweils anderen Religion und Nationalität. „Man wächst auf und man versteht die Kultur der anderen. Ich wusste, wie ich mich zu benehmen hatte, wenn ich bei Italienern reingegangen bin, bei Griechen, bei Portugiesen oder bei Türken“, sagt Suceska. Diese Sensibilität für unterschiedliche Kulturen hilft dem 41-Jährigen bis heute. Er arbeitet als stellvertretender Leiter im Kommunalen Integrationszentrum im Ennepe-Ruhr-Kreis.

Aufgrund seiner Herkunft hat Suceska immer wieder Diskriminierungserfahrungen gemacht. Denn das Schöntal hatte lange einen schlechten Ruf. Im Basketballverein, auf Geburtstagspartys und beim Pass-Beantragen im Rathaus: „Es gab Leute, die mich als Fremdling betrachteten, weil ich aus der falschen Gegend kam.“ Für ihn war das Stadtviertel aber vor allem eines: Zuhause. Wenn die Familie aus dem alljährlichen Bosnien-Urlaub zurückkam und Suceska die Ruhr und den Harkortsee erblickte, hieß das für ihn: „Endlich sind wir wieder daheim!“

Bosnienkrieg und Verfolgungen stärkten die kulturelle Identität der Familie

„Für uns war immer klar, wir sind Bosnier beziehungsweise Bosniaken, also muslimische Bosnier“, sagt der 41-Jährige. Neben den regelmäßigen Besuchen bei der bosnischen Verwandtschaft beteiligte sich die Familie auch am bosnischen Kultur- und Gemeindeleben in Wetter, später in Witten. Bis heute ist Armin Suceska im Vorstand der Bosnischen Gemeinde Witten aktiv und engagiert sich ehrenamtlich dafür, bosnische Traditionen und Werte nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Er setzt sich zum Beispiel für herkunftssprachlichen Unterricht in Schulen und für eine stärkere Kultur der Erinnerung an den Bosnienkrieg ein.

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In Bosnien, damals Teil des Vielvölkerstaates Jugoslawien, begann 1992 der Krieg. Serben, Kroaten und Bosniaken kämpften wegen ihrer verschiedenen Unabhängigkeitsbestrebungen gegeneinander. Bei sogenannten „ethnischen Säuberungen“ wurden damals systematisch Muslime in Konzentrationslager deportiert und ermordet. „Wir wussten: Weil wir einen falschen Namen haben, einen falschen Glauben, werden wir dort gejagt und getötet. Da kam auch bei uns hier in Deutschland nochmal eine Rückbesinnung zur Kultur“, sagt Suceska.

Bis heute gehören Suceskas Vater Ländereien in Ost-Bosnien

„Ortsansässige Ausländer“ jugoslawischer Herkunft

Im Oktober 1968 schloss die Bundesrepublik Deutschland ein Anwerbeabkommen mit dem damaligen Jugoslawien. Es war das letzte Abkommen dieser Art.

Im Statistischen Jahrbuch von 1971 sind für das Jahr 1970 391 ausländische Beschäftigte aus Jugoslawien verzeichnet, so das Stadtarchiv. 502 „ortsansässige Ausländer“ jugoslawischer Herkunft lebten demnach in Witten.

Das Haus, das die Familie in Ost-Bosnien gebaut hatte, fiel dem Krieg zum Opfer. Die Eltern entschieden daraufhin, nun in ihrer neuen Heimat zu investieren und kauften eine Eigentumswohnung in Witten. Darin leben sie bis heute. Ein zweites Heim in ihrem Herkunftsland zu haben, war den beiden dennoch wichtig. Nach dem Krieg kauften sie ein neues Haus in Sarajevo, der Hauptstadt im heutigen Bosnien und Herzegowina. Dort verbringen die Eltern bis heute jedes Jahr die Sommermonate.

Die Eltern von Armin Suceska, Pasa und Hajrudin Suceska, bei einem Urlaub an der Adria im Sommer 1985.
Die Eltern von Armin Suceska, Pasa und Hajrudin Suceska, bei einem Urlaub an der Adria im Sommer 1985. © Suceska

Der Vater von Armin Suceska hat noch immer die bosnische Staatsbürgerschaft – als einziger in der Familie. Der Grund: Ihm gehören noch immer einige Grundstücke und Ländereien in Ost-Bosnien. Die würde er mit dem Verlust der bosnischen Staatsbürgerschaft verlieren. Suceska kann das nachvollziehen: „Gerade, weil dort die ethnischen Säuberungen stattgefunden haben, will er nicht das Land abgeben, das seit Jahrhunderten unserer Familie gehört.“