Witten. Ein 256 Jahre altes Haus, das in Witten-Herbede eigentlich für Wohnungen weichen sollte, hat neue Eigentümer gefunden. Was diese vorhaben.

Vor zwei Jahren sollte ein Haus von 1766 in Herbede, in der Straße Am Berge gelegen, eigentlich abgerissen werden. Das rund 30 Jahre leer stehende Haus Nr. 52 hatte die Hattinger Alterna-Bauträgergesellschaft von einem Herbeder gekauft. Auf dem Grundstück sollten zwölf Eigentumswohnungen entstehen. Doch es kam ganz anders. Das frühere Pastorenhaus steht seit einem Jahr unter Denkmalschutz, gehört jetzt einem Essener Ehepaar und wird von diesem mit viel Herzblut restauriert - unterstützt von Handwerkern.

Franziska Schmidt-Thieme ist glücklich, ihr altes Haus aus Fachwerk und Sandstein gefunden zu haben. Sie und ihr Mann wollen es in ein Schmuckstück verwandeln.
Franziska Schmidt-Thieme ist glücklich, ihr altes Haus aus Fachwerk und Sandstein gefunden zu haben. Sie und ihr Mann wollen es in ein Schmuckstück verwandeln. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Die neuen Eigentümer, Franziska Schmidt-Thieme (36) und ihr Mann Julian (37), leben seit April 2020 im Ruhrgebiet. Dorthin sind die selbstständige Grafikdesignerin und der Maschinenbauingenieur gezogen, die aus Baden-Württemberg stammen, um sich ihren Traum vom eigenen Haus zu verwirklichen. „Wir haben hier Freunde und Bekannte, es gefällt uns hier“, sagt die 36-Jährige. In ihrem jetzigen Wohnort Essen würden für ein Eigenheim allerdings „utopische Preise“ verlangt. Auf Onlineplattformen suchte das Paar deshalb andernorts. Klar war für beide: „Wir wollten etwas Altes kaufen, ein Haus, das Charakter und eine Geschichte hat.“

Haus in Witten-Herbede war rund 30 Jahre nicht mehr bewohnt

Ihr Haus - Baujahr 1766 - fanden sie schließlich in Herbede, am Hang gelegen, im Dornröschenschlaf und mit einer Fernsicht bis hin zur Bochumer Ruhr-Universität. Erwerben konnten Schmidt-Thiemes das Haus im vergangenen September von der Alterna-Bauträgergesellschaft. Diese hatte das Gebäude, das im April 2021 unter Denkmalschutz gestellt worden war, weiterverkauft.

In Witten gibt es 278 Baudenkmäler

In Witten gibt es derzeit 278 eingetragene Baudenkmäler. Im Herbeder Ortskern und dem näheren Umland (Gemarkungen Ost- und Westherbede) stehen 51 Gebäude unter Denkmalschutz, so Denkmalpfleger Magnus Terbahl. Herbede verfüge damit im Vergleich zu anderen Wittener Stadtteilen über eine große Dichte an Baudenkmälern und vor allem Fachwerkhäusern. Terbahl: „In Herbede (Gemarkungen Ost- und Westherbede) stehen 34 Gebäude unter Denkmalschutz, die ganz oder teilweise in Fachwerkbauweise errichtet wurden.“ Alle Bau- und Bodendenkmäler im Stadtgebiet, die unter Denkmalschutz stehen, sind in der Denkmalliste der Stadt Witten erfasst.

Ende 2019 hatte unsere Redaktion berichtet, dass der Abriss des Fachwerk-Sandstein-Gebäudes von der Bauträgergesellschaft für 2020 geplant sei. Damals war das Haus noch nicht denkmalgeschützt. Dafür machte sich aber ein Herbeder stark, so Wittens Denkmalpfleger Magnus Terbahl. Er sah sich das Haus 2020 an und kam zu dem Schluss: „Das hat Denkmalwert.“

Wittens Denkmalpfleger Magnus Terbahl unterstützt Schmidt-Thiemes bei der Restaurierung mit wertvollen Tipps.
Wittens Denkmalpfleger Magnus Terbahl unterstützt Schmidt-Thiemes bei der Restaurierung mit wertvollen Tipps. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Experten des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) sahen dies genauso. Die Folge: Das geplante Bauvorhaben konnte nicht verwirklicht werden. Franziska Schmidt-Thieme und ihr Mann kauften das frühere Pastorenhaus, das 1766 Pastor Wilhelm Diederich Rautert und seine Frau Johanna Christina Starmann errichten ließen. Das junge Paar will an seinem alten Haus alles selber machen, „was wir unbedenklich selbst erledigen können“, sagt die Grafikerin. Sie hat schon einmal mit ihrem Vater ein Haus in Baden-Württemberg saniert. Dieses gehörte ihrer verstorbenen Großmutter. Die Enkelin wollte dort einziehen und hat vorher die Ärmel hochgekrempelt.

Das Gebäude wurde bereits entrümpelt, das Gelände vom Wildwuchs befreit

Schmidt-Thiemes haben rund 240.000 Euro für ihr Haus in Herbede bezahlt. Das sei kein Schnäppchen, betonen sie. Denn sie rechnen damit, noch einmal die gleiche Summe in das Gebäude investieren zu müssen, das über einen großen Gewölbekeller, ein Erdgeschoss, eine erste Etage und einen darüber liegenden früheren Heuboden verfügt.

In Herbede gibt es seit 1975 auch eine Rautertstraße

Das 256 Jahre alte Herbeder Haus war in den ersten Jahrzehnten ein Pfarrhaus. Eine lateinische Inschrift in einem Stein über der Haustür erinnert noch heute daran, dass Pastor Wilhelm Diederich Rautert und seine Frau Johanna Christina Starmann das Haus 1766 erbauen ließen. Denkmalpfleger Magnus Terbahl: „Die Familie Rautert ist eine seit dem 15. Jahrhundert nachweisbare Herbeder Familie, aus der neben Steuereinnehmern und Richtern auch Pfarrer als wichtige Persönlichkeiten Herbedes hervorgingen.“ Wilhelm Diederich Rautert war bis zu seinem Tod 1799 Pfarrer in Herbede. Dort gibt es seit 1975 auch eine Rautertstraße. Das Haus in der Straße Am Berge 52 wurde 1790 an den Obersteiger Gottlieb Schröder und dessen Frau Luisa Oberste Berghaus verkauft. „Ihre Namen sind noch heute an den Kaminreliefs im Erdgeschoss des Hauses lesbar“, freut sich Denkmalschützer Terbahl. Pfarrer Wilhelm Diederich Rautert und seine Frau hätten im Erdgeschoss früher auch einen Stall für Tiere, einen Obst- und Gemüsegarten gehabt, sagt er. Die Eheleute hätten ein repräsentatives Haus besessen. Pfarrer Rautert habe mit Johanna Christina Starmann auch reich geheiratet. „Ihre Familie besaß Ländereien.“

Was Franziska Schmidt-Thieme gefällt: „Hier kann man relativ ländlich leben, man kennt noch die Nachbarn.“ Mit dem öffentlichen Nahverkehr sei man aber schnell in der Stadt. Ihr Haus haben sie und ihr Mann bereits entrümpelt, auch das Gelände vom Wildwuchs befreit. Holzvertäfelungen im Inneren des Baudenkmals wurden entfernt, auch Teppichböden, die in mehreren Schichten übereinander lagen. Immer an den Wochenenden, vielleicht auch an warmen Abenden will das Paar an seinem Traum vom Haus arbeiten - unterstützt von Wittens Denkmalpfleger Magnus Terbahl. Er habe ihnen bereits viele gute Tipps gegeben, betont die 36-Jährige.

Sie würde an ihrer Hausfassade auch gerne den Sandstein wieder sichtbar machen, der einst unter Zementputz verschwand. „Mal gucken, ob wir das hinbekommen. Wir wollen das Mauerwerk ja nicht beschädigen.“ Die Arbeiten, so glaubt sie, werden insgesamt zwei Jahren in Anspruch nehmen. Schmidt-Thiemes wollen „ein Schmuckstück“ erschaffen, an dem sich auch die Nachbarschaft erfreuen soll.