Witten. Erstmals hat Witten Spenden für Tschornomorsk gesammelt, die Hafenstadt am Schwarzen Meer, die Partnerstadt werden könnte. So lief die Aktion.

In den Räumen des Integrationsrates an der Werkstadt türmen sich Kartons voller Hilfsgüter, gespendet von Wittener Bürgern und Unternehmen aus der Region. Kyrillische Schriftzeichen verraten ihren Zielort. Die Pakete sind für die Ukraine bestimmt – genauer, für Wittens Partnerstadt in spe, Tschornomorsk.

„Tschornomorsk“ bedeutet Schwarzes Meer. Genau dort liegt die 60.000 Einwohner große Hafenstadt – etwa 20 Kilometer südwestlich von Odessa. Schon vor über einem Jahr Jahren sind erste Kontakte mit Tschornomorsk zustande gekommen, vermittelt durch Wittens polnische Partnerstadt Tczew, die auch mit dem ukrainischen Ort befreundet ist. Eigentlich waren von Wittener Seite keine weiteren Städtepartnerschaften geplant. Doch der Krieg hat alles verändert.

Vor allem haltbare Lebensmittel und Medizin in Witten gesammelt

Keine Kleidung spenden

Nach der Spendenaktion des Integrationsrats sollen vermutlich knapp fünf Tonnen über eine ukrainische Spedition nach Tschornomorsk gefahren werden. Den Kontakt soll, wie bei der letzten Tour, das ukrainische Konsulat in Düsseldorf herstellen. Noch in dieser Woche soll es losgehen, ein konkreter Termin steht jedoch noch nicht fest.

Die rund 550 Flüchtlinge in Witten sind nach Einschätzung des Integrationsrats inzwischen gut versorgt. Von Kleiderspenden solle man derzeit in jedem Fall absehen. Medizinische Artikel und haltbare Lebensmittel würden dringender benötigt.

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Offiziell besteht zwar noch keine Partnerschaft. Dennoch fühlt man sich verpflichtet zu helfen. Deshalb hat der Wittener Integrationsrat eine Spendenaktion mit dem Internationalen Kultur- und Begegnungszentrum (IKBZ) ins Leben gerufen. Am Samstag waren die Wittener aufgerufen, haltbare Lebensmittel, Hygieneartikel und medizinische Produkte in den Räumen an der Werkstadt abzugeben.

Zu den Spenderinnen gehört Augenoptikerin Julia Orthbandt-Javala. „Bisher habe ich nur Nachrichten geguckt und war ziemlich betroffen, fast in einer Art Starre. Dann habe ich gedacht: Ich muss etwas machen“, sagt sie. Und verrät nebenbei, welche mulmigen Gedanken ihr beim Einkaufen durch den Kopf gegangen sind. „Dann steht man vor einem Regal und denkt sich: Mein Gott, jetzt kaufe ich Müsliriegel! Da herrscht Krieg und die Menschen haben gar nichts mehr. Wie soll ein Müsliriegel da helfen? Es erscheint lächerlich. Aber Nichtstun ist noch schlimmer.“

Alle packen mit an: Hier präsentieren Adalet Yildrim (v.li.), Stefan Borggraefe, Anne Baltzer, Nana Shavana und Natalya Koshel einige der Kartons, die mit Spenden gefüllt sind. Der Integrationsrat hatte zu der Aktion für die Ukraine aufgerufen.
Alle packen mit an: Hier präsentieren Adalet Yildrim (v.li.), Stefan Borggraefe, Anne Baltzer, Nana Shavana und Natalya Koshel einige der Kartons, die mit Spenden gefüllt sind. Der Integrationsrat hatte zu der Aktion für die Ukraine aufgerufen. © FUNKE Foto Services | Jürgen Theobald

Die Mitglieder des Integrationsrats sind derweil damit beschäftigt, die langsam eintrudelnden Spenden in Kartons einzusortieren. Zwei Frauen aus der Ukraine, Flüchtlinge, helfen mit. Svitlana Eddin ist eine von ihnen. Sie ist nach dem ersten Bombenhagel auf Kiew aus der Hauptstadt geflüchtet, mit ihrer Mutter und Schwester. Über Landstraßen und Schleichwege ging es zunächst in einen Vorort. Dort haben sie eine Woche in einem Luftschutzbunker verbracht. Sie wussten nichts, was draußen vor ging. Nur die dumpfen Geräuschen von Einschlägen waren zu hören.

Irgendwann hat sich die Familie dann aber doch aus dem Bunker getraut und sich bis zur ungarischen Grenze auf eigene Faust durchgeschlagen. Allen Widrigkeiten zum Trotz. Svitlana Eddins Bruder ist in Kiew geblieben. Er schloss sich direkt nach Kriegsbeginn den ukrainischen Streitkräften an. Seitdem beschränkt sich ihr Kontakt auf das Wesentliche. „Lebst Du noch?“ „Ja“ steht auf dem Display von Svitlanas Eddins Smartphone. Immer und immer wieder. Mehr als ein einfaches Lebenszeichen ist aus Sicherheitsgründen nicht möglich, da Mobiltelefone geortet werden können.

Weniger Wittener haben diesmal gespendet, dafür aber gezielter

Anne Baltzer vom Integrationsrat sortiert die Spenden eines Wohltäters, der unbekannt bleiben möchte.
Anne Baltzer vom Integrationsrat sortiert die Spenden eines Wohltäters, der unbekannt bleiben möchte. © Florian Peters

Für Svitlana ist die Arbeit an der Mannesmannstraße eine willkommene Ablenkung und das Helfen eine Selbstverständlichkeit. „Ich habe gehört, man braucht Hilfe. Deshalb bin ich hier“, sagt sie. Am Samstag war der Andrang zwar nicht so groß wie bei der Sammelaktion vor einem Monat, „Aber das ist nicht schlimm, weil an vielen Orten in Witten gesammelt wird“, sagt Integrationsratsvorsitzende Nataliya Koshel. „Dafür war die Hilfe diesmal viel gezielter.“ Aufgrund der diesmal kleineren Spendenaufkommens sei es nun auch möglich, Spenden anderer Abnehmer mitzunehmen, etwa eine Ladung der Ruhrtalengel und der ev. Gemeinde am Steinhügel.

Bei der Sammelaktion gingen Nataliya Koshel die Tränen einer älteren Frau besonders nah. „Sie hat den Zweiten Weltkrieg erlebt und kann es nicht fassen, dass nun wieder Krieg in Europa ist.“