Witten. Vor knapp zwei Wochen sind die ersten Ukraine-Flüchtlinge in Witten eingetroffen. Der Krieg in der Heimat bleibt für sie allgegenwärtig.

Vor knapp zwei Wochen kamen die ersten Flüchtlinge aus der Ukraine in Witten an. Der Krieg bleibt für sie allgegenwärtig. Mit ihren Gedanken sind sie stets bei Verwandten und Freunden in der Heimat. Zudem treiben sie Zweifel und Gewissensbisse um.

Geflüchtete Elena möchte Verwandte nach Witten holen

Elena Bolotowa (41) ist gleich zu Beginn des Krieges mit Tochter Lisa (9) aus Cherson geflohen, eine früh von den Russen eingenommene Stadt im Südosten der Ukraine. Ihr Mann Sergej (46), der dort blieb, hat sie bei dem Entschluss unterstützt, das Land zu verlassen. „Er wollte, dass wir uns in Sicherheit bringen.“

Cherson im Südosten gehörte zu den ersten Städten, die die russischen Truppen angegriffen haben. Nur wenige Kilometer entfernt liegt Saporischscha.
Cherson im Südosten gehörte zu den ersten Städten, die die russischen Truppen angegriffen haben. Nur wenige Kilometer entfernt liegt Saporischscha. © dpa | dpa-infografik GmbH

Doch wenn Muter und Tochter jetzt in einer Wohnung in Witten sitzen, die ihnen ein Ehepaar zur Verfügung gestellt hat, kommen quälende Fragen auf. Ihr Mann kämpfe gegen die russischen Truppen und setze sich großen Gefahren aus, sagt Elena. Er sei ungemein tapfer. Sie telefonieren miteinander. Doch sie habe Angst um ihn und könne von Deutschland nichts für ihn tun. Elena Bolotowa fühlt sich hilflos.

Gern würde sie auch ihre Eltern hierherholen. Doch der Vater (67) ist krank und gebrechlich. Er lebt in einem Heim in Kiew, eine Flucht komme nicht in Betracht. Die Mutter ist getrennt von ihm, sie wohnt auf einem kleinen Dorf und will in ihrer Heimat bleiben. Zu all den Sorgen kam noch gleich nach der Ankunft in Deutschland hinzu, dass Elenas Tochter erkrankte und hohes Fieber hatte. Das ist nun wieder zurückgegangen, wenigstens ein kleiner Lichtblick.

Erschreckende Nachrichten aus der Heimat

Ebenso wie Elena ist auch Julia Korobenko dankbar, dass sie sofort eine Unterkunft in Witten gefunden hat. Olga Tape, die gebürtig aus der Ukraine stammt, hat die Wohnung vermittelt. Wenn Julia Kontakt mit Verwandten, Freunden und früheren Arbeitskollegen hat, muss sie oft weinen. „Die haben kaum noch Lebensmittel und müssen sich ihr Essen auf einem Gaskocher im Keller zubereiten.“ Sich draußen aufzuhalten, sei sehr gefährlich. „Die Menschen haben große Angst vor russischen Soldaten.“

Weiterhin sind freiwillige Helfer gefragt

Wer Flüchtlingen eine Wohnung in Witten anbieten möchte, kann sich bei Olga Tape unter 0178/2462671 melden. Darüber hinaus nimmt auch die Stadtverwaltung Angebote entgegen. Auf der Internetseite witten.de sind entsprechende Formulare hinterlegt.

Die Stadt sucht darüber hinaus Freiwillige, die sich um die Begleitung der Flüchtlinge kümmern, sei es bei Behördengängen oder Arztbesuchen. Zudem werden auch dringend Dolmetscher gebraucht.

Auf der Internetseite der Stadt Witten und des EN-Kreises sind ausführliche Informationen zum Aufenthaltsrecht, finanziellen Ansprüchen der Flüchtlinge, medizinischer Versorgung sowie Schule und Bildung abrufbar.

Die 41-Jährige hat zuletzt in Kiew gelebt. Sie war dorthin schon einmal geflohen – aus der Ostukraine. Gearbeitet hat sie in einem Medizinzentrum. Wenn es doch nur möglich gewesen wäre, dass noch viel mehr Menschen hätten fliehen können, sagt Julia. Richtig wohl fühlt sie sich nicht in ihrer Haut.

Das Heimweh der 13-jährigen Tochter ist riesengroß

Olga Tape aus Heven organisiert schon seit Jahren privat Hilfe für ihr Heimatland, die Ukraine. Jetzt sammelt sie wieder Hilfsgüter und vermittelt Wohnungen.
Olga Tape aus Heven organisiert schon seit Jahren privat Hilfe für ihr Heimatland, die Ukraine. Jetzt sammelt sie wieder Hilfsgüter und vermittelt Wohnungen. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann

Dass nun Krieg herrscht, was mit den Menschen passiert, das alles könne sie kaum verstehen. Ihrer 13-jährigen Tochter falle es noch viel schwerer, sich mit der neuen Situation zurechtzufinden. Bis vor wenigen Tagen war, trotz aller Drohungen aus Moskau, das Leben noch normal. „Und jetzt ist alles anders“, sagt Julia Korobenko.

Die Tochter versuche natürlich, mit ihren Freundinnen in Verbindung zu bleiben. Aber Gespräche oder Kurznachrichten seien nun mal kein gleichwertiger Ersatz für ein Zusammensein, das bis vor Kurzem noch selbstverständlich war. Das Heimweh ist riesengroß.

Während beide Familien nun schon rund eine Woche in Witten leben, ist Jana Frovola (30) mit ihrem Sohn Maxim (6) gerade erst in der Stadt eingetroffen. Sie stammt aus Saporischschja im Süden der Ukraine, jener Stadt, wo das größte Atomkraftwerk Europas angegriffen wurde. Ihr Mann musste daheim bleiben und auch der Vater. Er sei 60 Jahre alt und damit noch zu jung, um das Land verlassen zu dürfen. Auch wenn seit ihrer Ankunft erst einige Stunden vergangen sind, hat auch sie Zweifel, ob es die richtige Entscheidung war, das Land zu verlassen. Aber ihr Kind, das wolle sie doch retten, sagt die 30-Jährige klar und deutlich.

Jana Frolova (30) ist mit ihrem sechsjährigen Sohn Maxim gerade erst in Witten eingetroffen. Sie stammt aus Saporischschja im Süden der Ukraine, wo das größte Atomkraftwerk Europas angegriffen wurde. Ihr Mann muss in der Heimat bleiben, ebenso ihr Vater.
Jana Frolova (30) ist mit ihrem sechsjährigen Sohn Maxim gerade erst in Witten eingetroffen. Sie stammt aus Saporischschja im Süden der Ukraine, wo das größte Atomkraftwerk Europas angegriffen wurde. Ihr Mann muss in der Heimat bleiben, ebenso ihr Vater. © FUNKE Foto Services | Bastian Haumann