Witten. Erschütternde Erlebnisse schildern Ukraine-Flüchtlinge, die in Witten ankommen. Bei den Nachrichten aus der Heimat fließen viele Tränen.
Es sind erschütternde Erlebnisse. Ukrainische Familien schildern ihre Flucht und was sie seit ihrer Ankunft in Witten durchmachen. Denn obwohl sie selbst jetzt sicher sind, bleibt der Krieg für sie allgegenwärtig. Es fließen viele Tränen.
Flüchtlinge hoffen auf Hilfe aus Witten
Es ist der 24. Februar, jener schicksalhafte Tag, an dem die Russen die Ukraine überfallen. Als bei Tagesanbruch ein Militärstützpunkt im ostukrainischen Cherson in Flammen steht, hat Roman Maschura nur einen Gedanken. „Raus hier!“ Seine Frau Elena (39) ist krebskrank. Er will sie und die drei Söhne (7,8,13) in Sicherheit bringen. In Windeseile packt die Familie ein bisschen Kleidung und Lebensmittel zusammen. Als sie die Stadt verlassen, kommen ihnen bereits russische Panzer entgegen.
Das Paar hat die Szene mit dem Handy festgehalten. Inzwischen sind die Flüchtlinge in Witten gelandet, wo die gebürtige Ukrainerin Olga Tape lebt. Mit ihr verbindet sie eine enge Freundschaft. Roman und Elena haben für die 52-Jährige schon Hilfsgüter verteilt, die sie seit elf Jahren für die Ukraine sammelt. Sieben Tage sollte es dauern, bis sich alle wieder in die Arme nehmen können.
Die Fluchtroute führt über Moldawien und Rumänien. An den Grenzen muss die Familie Stunden warten. Als der Proviant zu Ende geht, sind sie froh, an Ausgabestellen Nachschub zu erhalten. Auch wenn sie das Kriegsgeschehen mit jedem Kilometer ein Stück mehr hinter sich lassen, sitzt ihnen noch immer die Angst im Nacken. Der Schrecken des Krieges endet nicht an der Grenze. Das spüren die beiden auch bei ihren Kindern, die am Tag vor der Flucht noch ganz normal zur Schule gegangen sind.
Bruder bei Kämpfen mit russischen Einheiten erschossen
Derweil wollen die Maschuras natürlich wissen, was mit den Lieben daheim in Cherson passiert, wie es Freunden und Bekannten ergeht. Die russische Seite behauptet inzwischen, die Stadt unter ihrer Kontrolle zu haben. Elena erreicht die schreckliche Nachricht, dass ihr Bruder erschossen wurde. Er war gerade mal 17 und habe zu einer Gruppe von jungen Leuten gehört, die mit Molotowcocktails dem russischen Militär die Stirn bieten wollte.
Elena zeigt ein mit Schüssen durchsiebtes Auto, in dem Tote liegen, und bricht in Tränen aus. Warum dieser Krieg eigentlich sein muss, fragte sie. Die Angst um eine jüngere Schwester, die in Cherson geblieben ist, lässt sie nicht mehr los. In Gedanken ist sie auch bei den vielen Familien, die mit ihren Kindern jetzt in dunklen, nassen und kalten Kellerräumen ausharren.
Auf einem Video, das die Ukrainerin erhalten hat, sind Panzer zu sehen, die nahe ihrer Wohnung eine Runde nach der anderen drehen. Ihr Mann hat massenweise Bilder von zerstörten Gebäuden bekommen, darunter der Supermarkt, in dem die Familie bis vor kurzem eingekauft hat.
In großer Sorge um die engsten Angehörigen
Die fünfköpfige Familie ist inzwischen bei Bekannten von Olga Tape aus Heven untergekommen. Sie hat auch Julia Korobenko (43) und ihrer Tochter Kira (13) eine Unterkunft vermittelt. Mutter und Tochter haben mit zwei kleinen Koffern und ihrer Katze am Tag nach Kriegsbeginn die Hauptstadt Kiew verlassen. Da sie kein Auto haben, sind sie getrampt. In fünf verschiedene Wagen sind sie gestiegen, um nach Polen zu gelangen. Das stundenlange Warten an der Grenze habe an den Nerven gezerrt. Von Kattowitz ging es dann mit dem Zug nach Berlin, die Tickets gab’s umsonst, erzählt die Mutter. Helfer aus Witten warteten dort bereits.
Für die Familie ist es bereits die zweite Flucht, stammt sie doch aus dem Donbass, wo schon seit 2014 gegen russische Separatisten gekämpft wird. Damals verließ sie erstmals ihre Heimat und hoffte, Kiew sei nun ein sicherer Hafen. Doch je unverhohlener Putin mit Krieg drohte, desto klarer wurde der Entschluss, die Ukraine zu verlassen. Die Entscheidung fiel ihr schwer, erzählt Julia.
Die Ungewissheit, wie es im Westen weitergeht, habe sie und vor allem auch die Tochter stark beschäftigt. Schließlich habe man keine andere Wahl mehr gesehen. Derweil Mutter und Tochter nun versuchen, sich mit der Situation zurechtzufinden, bleiben gleich zwei große Sorgen: Der Ehemann und Vater ist in Kiew geblieben. Er will für sein Vaterland kämpfen. Ein Kontakt zu ihm bestehe nicht. Und Julias Mutter lebt weiter im Donbass und „wir sehen keine Chance, sie rauszuholen“.