Witten. Das Märkische Museum Witten zeigt jetzt die Arbeiten von 19 Fotografen aus der ganzen Welt. Viele sind Momentaufnahmen und doch ganz große Kunst.
Flüchtiger Augenblick, Momentaufnahme oder doch ein Bild für die Ewigkeit? „Menschen auf der Straße – Fotografie“ heißt die neue Ausstellung im Märkischen Museum. 19 Künstlerinnen und Künstler werfen dabei einen Blick auf die Gesellschaft, den sie mit der Kamera festgehalten haben.
Im Mittelpunkt stehen dabei die Arbeiten der Fotografen Thomas Struth und Toby Binder, von denen umfangreiche Bilderserien gezeigt werden. Struth hatte im Jahr 2004 ein Fotoprojekt gestartet, bei dem er Obdachlose Passanten fotografieren ließ. Statt begafft zu werden, werden die Obdachlosen selbst zum Betrachter.
Binders Bilder sind in Witten erstmals zu sehen
„Ich habe die Bilder schon 2009 in Düsseldorf gesehen und wusste gleich: Die sind so interessant, die möchte ich irgendwann mal zeigen“, sagt Museumsleiter Christoph Kohl. Die Aufnahmen gäben viele Details über die Verletzlichkeit am Rand der Gesellschaft preis, ohne düster oder deprimiert zu wirken. „In diesen Arbeiten wird eine andere, sehr individuelle Wirklichkeit aufgezeigt, die wir als gewöhnliche Passanten vielleicht nicht wahrnehmen können.“
Ebenfalls in einem schwierigen, aber spannenden Umfeld sind die Aufnahmen von Toby Binder entstanden. Er hat Duisburger Jugendliche über Monate in ihrem Alltag begleitet, das Projekt läuft noch. Die Bilder sind in Witten erstmals zu sehen. „Ich wollte wissen, was mit den Kindern im Lockdown passiert“, erklärt der 45-Jährige. Für seine Bilder, die wie eine Reportage Geschichten von Menschen und ihrem Stadtteil erzählen, wählte der Stuttgarter bewusst einen Ort mit einer hohen Migrationsquote: Hochfeld. Für die Jugendlichen dort ist die Straße der wichtigste Lebensraum – ein Ort des Austauschs und der Selbstdarstellung.
Der flüchtige Moment und die Ewigkeit vereint
Binder ist es gelungen, über die Monate ihr Vertrauen zu gewinnen. So kann er ihnen mit der Kamera sehr nahekommen – und dass nicht nur buchstäblich in den ausdrucksstarken Porträts. Die jungen Menschen lassen den Fotografen an ihrem Leben teilhaben. Das ist mal amüsant, mal erschreckend und manchmal traurig. Aber immer spannend, denn Binders Bilder werfen dabei stets Fragen zur sozialen Ungerechtigkeit, Identität und Zugehörigkeit auf.
Aber es gibt auch andere Themen in der Ausstellung. Die nachdenklichen Fotografien von Eva Rubinstein etwa – unter anderem eine Aufnahme einer Passage in Jerusalem, mit einem mächtigen spätgotischen Pfeiler im Hintergrund. Es ist zwar kein Mensch zu sehen, aber dennoch hat der Strom der Passanten sichtbar Spuren hinterlassen. Der flüchtige Moment und die Ewigkeit sind in einem Motiv vereint.
Arbeiten eines ukrainischen Künstlers kamen kurzfristig hinzu
Ganz und gar im Augenblick bleibt hingegen die Bildersequenz des amerikanischen Fotografen Duane Michals. Zwei Männer, die sich begegnen, schauen einander nach – gern würde man wissen, wie die Geschichte weitergegangen ist. Mit Helen Levitt ist zudem eine der herausragendsten Künstlerinnen der New Yorker Street Photography in Witten vertreten. Ihre ikonischen Fotografien spielender Kinder auf der Straße aus der Mitte des letzten Jahrhunderts sind weltweit bekannt und in den wichtigsten Kunstsammlungen vertreten.
Bis zum 10. Juli geöffnet
Die Ausstellung „Menschen auf der Straße – Fotografie“ ist von 12. März bis zum 10. Juli im Märkischen Museum an der Husemannstraße 12 zu sehen.Gezeigt werden Arbeiten von Toby Binder , Werner Bischof, Katharina Bosse, Alexander Chekmenev, EXPORT/Weibel, Gudrun Kemsa, Helen Levitt, Herbert List, Valérie Jouve, Will McBride, Duane Michals, Stefan Moses, Tod Papageorge, Sebastian Riemer, Judith Joy Ross, Eva Rubinstein, Christer Strömholm, Thomas Struth und Ira Vinokurova.Das Märkische Museum ist immer mittwochs bis sonntags von 12 bis 18 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist frei. Derzeit gilt dort 3G und Maskenpflicht.
Politische Aktualität bekommt die Ausstellung einerseits durch die Fotoserie „Protest the War“. 2006/2007 porträtierte die amerikanische Fotografin Judith Joy Ross Menschen unterschiedlichen Alters und Sozialisierung, die gemeinsam auf die Straße gegangen sind, um gegen den Krieg im Irak zu protestieren – die Ähnlichkeit zu aktuellen Aufnahmen überrascht und berührt.
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Und schließlich ist auch ein ukrainischer Künstler vertreten. Alexander Chekmenev hatte bereits 2018 im Märkischen Museum ausgestellt. „Aus aktuellem Anlass und aus Solidarität mit der Ukraine haben wir uns kurzfristig entschlossen einige Werke des Künstlers in diese Ausstellung zu integrieren“, erklärt Kohl. Zu sehen sind Bilder vom Leben in der Ukraine – so wie es einmal war.