Witten. Wie gut sind Wittens Schulen personell ausgestattet? Eine Landesstatistik stellt ein vermeintlich gutes Zeugnis aus. Lehrer sehen das anders.

Zu wenig Personal, zu viel Unterrichtsausfall: Damit haben viele Schulen zu kämpfen. Man steuere geradewegs in eine „Bildungskatastrophe“ hinein, hatte die NRW-SPD kritisiert und von der Landesregierung genaue Zahlen zur Personalsituation gefordert. Nun liegt eine Tabelle vor, in der auch alle 29 Wittener Schulen aufgelistet sind. Danach scheint die Lage gar nicht so schlecht zu sein. Aber: „Diese Zahlen bilden nicht die Realität ab“, sagen Lehrkräfte aus der Ruhrstadt.

Auf den ersten Blick zeigt die Tabelle für Witten: Die meisten Schulen liegen nicht sehr weit vom vermeintlich optimalen Bereich einer 100-prozentigen Personalausstattung entfernt. Den niedrigsten Wert weist dabei die Borbachgrundschule mit 81,1 Prozent auf, die höchste Quote verzeichnet die Freiligrathschule mit 113,5.

Genau zu 100 Prozent mit Lehrkräften ausgestattet sind demnach nur die Baedekerschule und das Berufskolleg. Eigentlich sollte die Versorgung mit Lehrerinnen und Lehrern an Schulen in NRW sogar bei 105 Prozent liegen. Das schaffen nur sieben Schulen in Witten.

Wittener Ruhr-Gymnasium: Zwei Stellen aktuell nicht besetzt

Die Zahlen beziehen sich auf den Stichtag 4. Januar 2022. Das Ministerium selbst weist darauf hin, dass eine Quote von unter 100 Prozent nicht direkt Unterrichtsausfall bedeute, eine Quote von über 100 nicht automatisch eine Überversorgung. Wie also sind die Zahlen überhaupt zu verstehen?

Das Ruhr-Gymnasium kommt beispielsweise auf eine Quote von 95,9 Prozent. Das bedeutet: „Wir haben gerade zwei offene Stellen“, so Schulleiter Dirk Gellesch. Eine davon werde hoffentlich bald besetzt. Dennoch bedeute es immer wieder einen Spagat, möglichst wenig Stunden ausfallen zu lassen. Und die Personallage werde eher noch schlechter, befürchtet Gellesch.

Schulleiter: Generationenwechsel im Kollegium

Es finde gerade ein Generationenwechsel im Kollegium statt. „Viele Lehrer gehen in Pension“, so Gellesch. „Wir haben am Ruhr-Gymnasium inzwischen ein sehr junges Kollegium.“ Bei vielen stehe gerade die Familienplanung im Vordergrund oder das zweite Kind kündige sich an. Entsprechend hoch sei der Wunsch, in Elternzeit zu gehen. „Da ist es schwierig, Ersatz zu finden, denn die Stellen sind ja nur befristet.“

Nicht zuletzt sei es auch schwierig, Lehrkräfte für bestimmte Fächerkombinationen zu bekommen. „Für Musik und Chemie brauchen wir dringend jemanden“, sagt der Schulleiter. Allein der Markt gebe dies gerade nicht her. Zwischendurch sei es sogar mal schwierig gewesen, jemanden für Sport zu finden.

„Ich kann eine Schule nicht mit 95 Prozent fahren, wenn ich 100 Prozent brauche“, stellt Dirk Gellesch klar. Selbst eine Quote von über 100 Prozent garantiere keine vollständige Ausstattung. Er erinnert sich an seine Zeit als Schulleiter in Bochum: „Da wurde mir eine Quote von 102 Prozent bescheinigt, aber die hatte ich faktisch nicht, weil es drei Dauerkranke im Kollegium gab.“ Solche Fälle berücksichtige die Landesstatistik nicht.

Wittens Grundschulsprecherin: Es darf nichts passieren

Auch Dörthe Diefenbruch hat so ihre Probleme mit dem Zahlenwerk. Die Sprecherin der Wittener Grundschulen leitet die Pferdebachschule mit einer Personalausstattungsquote von 94,5 Prozent. Das sei ganz okay, sagt sie. Weil zwischendurch aber erheblicher Lehrermangel im Ennepe-Ruhr-Kreis herrschte, habe man ein halbes Jahr lang jemanden abordnen müssen, um an einer anderen Schule ein größeres Loch zu stopfen. Als erstes müsse in solchen Fällen die für die Sprachförderung zuständige Integrationsstelle dran glauben, die der Schule eigentlich zustehe.

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Dass die Personalsituation an der Borbachschule aktuell so schlecht sei, liege im Übrigen an der fehlenden Schulleitung, weiß Dörthe Diefenbruch. Sie hoffe, dass die Stelle bis zum Sommer neu besetzt werden könne.

„Es darf nichts passieren. Eine Schule funktioniert nur, solange keiner langfristig erkrankt, schwanger wird oder in Mutterschutz geht“, so die Sprecherin. Dann sei jede Schule auf sich gestellt. Mit Wehmut erinnert sie sich an die Zeit, als es noch Springer für Vertretungsunterricht gab. Doch das ist lange her.