Witten. In der Heimat von Nataliya Koshel sind Krieg und Angst seit acht Jahren allgegenwärtig. Was die in Witten lebende Ukrainerin fühlt und denkt.

Vor 13 Jahren zog Nataliya Koshel aus der Ukraine nach Deutschland. Jetzt ist ihre Sorge um Freunde und Familie in ihrem Heimatland groß. Die Angst vor einem Krieg mit Russland macht der Wittenerin zu schaffen – und lässt sie an der deutschen Politik zweifeln.

2009 zog Nataliya Koshel zu ihrem Mann nach Deutschland. Mit ihm und ihrem gemeinsamen Sohn Michael (6) wohnt sie in der Wittener Innenstadt. Ihre gesamte Familie, auch die 91-jährige Großmutter, und viele ihrer Freunde leben nach wie vor in ihrem Heimatort.

Wittenerin: Soldaten verteidigen die Souveranität meiner Heimat

„Sie alle machen sich im Moment große Sorgen“, sagt die 37-Jährige. Ein- bis zweimal im Jahr fährt die Wittenerin in die Ukraine, um Freunde und Familie zu besuchen. Zuletzt verbrachte sie dort Weihnachten und Silvester sowie das orthodoxe Weihnachtsfest, das ihre ukrainische Familie im Januar feiert. Nataliya Koshel hat in der Ukraine an einer Militärhochschule studiert. „Ich kenne deswegen viele Menschen, die als Reporter oder Soldaten an die Front im Osten der Ukraine gegangen sind. Sie sind da, um die Souveränität meiner Heimat zu erhalten.“

Nataliya Koshel stammt aus der Kleinstadt Horodok, in der Nähe von Lwiw im Westen des Landes. Die Stimmung dort ist momentan besonders angespannt. „Wenn ich meine Familie besuche, sagt meine Mutter immer: ‚Feier nicht zu wild, das Land befindet sich im Krieg. Es gehört sich nicht.‘

Krieg ist in der Heimat der Wahl-Wittenerin allgegenwärtig

Angesichts eines massiven russischen Truppenaufmarsches in der Nähe der Ukraine wird im Westen befürchtet, dass der Kreml einen Einmarsch in das Nachbarland planen könnte. Hier sind russische Militärfahrzeuge  auf dem Weg zu einer Übung in Belarus.
Angesichts eines massiven russischen Truppenaufmarsches in der Nähe der Ukraine wird im Westen befürchtet, dass der Kreml einen Einmarsch in das Nachbarland planen könnte. Hier sind russische Militärfahrzeuge auf dem Weg zu einer Übung in Belarus. © Uncredited/Russian Defense Ministry Press Service/AP/dpa

Denn der Krieg ist in der Ukraine allgegenwärtig. Seit der Annexion der Krim 2014 durch Russland stehe das Land dauerhaft unter Spannung, sagt Nataliya Koshel, die in Witten Vorsitzende des Integrationsrats ist. Der Konflikt mit dem großen Nachbarn sei ein Dauerthema. Lange sei darüber in den deutschen Medien jedoch nicht mehr berichtet worden – bis jetzt.

In den letzten acht Jahren seien etwa 300 Menschen aus ihrem Heimatbezirk als Freiwillige in das Grenzgebiet Donbass in der Ostukraine gegangen. Es ist seit 2014 umkämpft. Pro-russische Separatisten stehen dort Regierungstruppen gegenüber. Sechs gefallene Soldaten seien auf heimischen Friedhof bestattet, sagt Nataliya Koshel.

100 Menschen aus dem Donbass nach Horodok geflüchtet

Etwa 100 Menschen sind ihren Angaben zufolge aus dem Donbass in ihren Heimatort Horodok im Westen der Ukraine geflüchtet. Lokale Vereine organisierten regelmäßig humanitäre Hilfe für die Grenzregion. Die Integrationsratsvorsitzende aus Witten ist wie viele Ukrainer von der deutschen Außenpolitik enttäuscht.

„Meine Familie und Freunde werden gerade zur Zielscheibe eines internationalen Machtspiels“, sagt sie. Die 37-Jährige sieht in der neuen Gaspipeline Nord-Stream 2, die künftig Erdgas aus Russland nach Europa transportieren soll, einen der Hauptgründe für den Konflikt zwischen den westlichen Staaten und Russland. „Wir alle stehen vor einem Europa-Krieg und Deutschland pflegt weiterhin einen staatlichen Umgang mit der russischen Diktatur.“

Vertrauen in deutsche Außenpolitik sinkt

Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Ukraine seien immer freundschaftlich gewesen. Doch seit Jahren beobachtet Nataliya Koshel, wie das Vertrauen der Ukrainer in die deutsche Außenpolitik sinke. Deutschland habe zum Beispiel die militärischen Konflikte im Osten der Ukraine nie als Krieg anerkannt und die Ukraine nicht bei einem Nato- und EU-Beitritt unterstützt. Jetzt, da sich der Konflikt zuspitzt, fordert sie erst recht einen Wandel in der Politik. „Ich erwarte von Deutschland Zusagen über militärische Unterstützung für die Ukraine und härtere Sanktionen gegenüber Russland.