Witten. Nur Dekoration oder ein Impuls für Witten? Seit April 2021 läuft in den Kaufhof-Schaufenstern das Projekt „Galerie der Produkte“. Eine Bilanz.

Ein halbes Jahr nachdem Galeria Kaufhof in Witten für immer seine Tore schloss, zog in die Schaufenster die „Galerie der Produkte“ ein. Verschiedene Wittener Initiativen, Vereine oder Firmen zeigen dort, was sie ausmacht. Die Ausstellungen sollen das leere Gebäude beleben. Im Februar läuft das städtische Projekt in dieser Form aus. War es bloß hübsche Dekoration oder hat es mehr bewirkt? Ein Gespräch mit Britta Lennardt (50), die die Ausstellungen zusammenstellt.

Seit Anfang März 2021 sind Sie als Kuratorin der „Galerie der Produkte“ mit einem Werksvertrag bei der Stadt angestellt. Seitdem wurden gefühlt zigmal Ausstellungen auf- und abgebaut. Haben Sie inzwischen immer passende Reißzwecken in der Handtasche?

Lennardt: Nein, ich bin mit der Organisation mehr als genug beschäftigt. Den Auf- und Abbau machen die Aussteller glücklicherweise selbstständig. Aber eine der Soroptimistinnen hat mir letztens tatsächlich ein Paket Schrauben geschenkt.

Auch die „Stadtgespräch“-Reihe ist Teil des Projekts „Galerie der Produkte
Auch die „Stadtgespräch“-Reihe ist Teil des Projekts „Galerie der Produkte". Hier ging es um das Thema Lastenrad mit den Startup-Unternehmern von „Pottkutsche". Sie wurden im Schaufenster interviewt. © FUNKE Foto Services | Barbara Zabka

Wie lautet die bisherige Bilanz der „Galerie der Produkte“?

Die erste Ausstellung, das war die Standortgemeinschaft, wurde am 11. April 2021 eröffnet. Seitdem wechseln wir alle drei Wochen das Thema. Bislang gab es 25 Ausstellungen und zehn Aktionen wie die „Stadtgespräche“, die sich ja allesamt der Zukunft der Innenstadt widmen.

Gibt es ein Vorbild für diese Ausstellungsform? Läuft sowas in anderen Städten?

Ich glaube, das ist ein Unikat. Und das ist gut so: Witten folgt seinen eigenen Gesetzmäßigkeiten. Alles, was man von außen abkupfert, würde hier nicht funktionieren.

Eine Ausstellung mit Fotos von Davide Bentivoglio ist zurzeit in den Schaufenstern der Galerie der Produkte in Witten zu sehen.
Eine Ausstellung mit Fotos von Davide Bentivoglio ist zurzeit in den Schaufenstern der Galerie der Produkte in Witten zu sehen. © FUNKE Foto Services | Barbara Zabka

Wie kommt das Programm zustande?

Im Vorfeld gab es einen Fragebogen, über den sich die Aussteller bewerben konnten. Ich habe das dann sortiert: Dass die Fotokünstler von Objektivart zusammen mit den Videokünstlern von Leuchtstoff ausstellen. Oder dass beim Thema Nachhaltigkeit die Modelabel „Nouranour“, „ethics“, die Kornkammer Holte und „Für Elise“ zusammenkamen. Vieles kam noch spontan hinzu, etwa dass wir ein Standort des Kultursommers wurden. Oder die aktuelle Schau mit Fotos des Wittener Fotografen Davide Bentivoglio: Eigentlich wollte ich zusammen mit den Stadtarchiv eine Ausstellung zur Geschichte des Kaufhauses umsetzen – angefangen mit dem jüdischen Warenhaus in Witten. Wegen des Hackerangriffs konnte das Stadtarchiv nicht mehr auf seine Daten zugreifen. Dafür gab es im Archiv plötzlich diesen Schatz der Bentivoglio-Bilder.

Welche Frage wurde Ihnen als Kuratorin am häufigsten gestellt?

Ganz klar: Was in den Kaufhof künftig hineinkommt. Man merkt, was das Gebäude für eine Symbolkraft hat. Ein Beispiel: Eine ältere Dame grüßt mich schon, so, als würde ich vor meinem Haus stehen. Immer hätte sie ihre Kleidung im Kaufhof gekauft, er fehle ihr so. Sie wisse gar nicht, wo sie jetzt kaufen soll. Und das stimmt: Für einen bestimmten Stil gibt es kein Angebot in Witten.

Noch immer gibt es einen Kaufhof-Hausmeister

Wer hat eigentlich den Schlüssel zum Kaufhof? Es gibt tatsächlich einen Hausmeister, der sich schon zu Galeria-Zeiten um das riesige Gebäude kümmerte. Der Handwerker Klaus Neumann legte damals mitunter 14 Kilometer Fußweg täglich in dem Warenhaus und der Tiefgarage zurück. Noch immer ist Neumann als „Objektmanager“ für den Eigentümer, die Firma Saller, tätig.

Der Wittener ist in der Stadt bekannt: Bevor die Werkstadt ihre Tore Anfang der 70er öffnete, war er in ihrem Dunstkreis als Handwerker aktiv. Er führt die vom Großvater gegründete Schlosserwerkstatt in der Gerichtsstraße und arbeitet als freiwilliger Feuerwehrmann. Britta Lennardt hat ihm eine Folge ihrer Podcast-Reihe „1 aus 99.000 - Geschichten einer kleinen Großstadt“ gewidmet.

Ziel der Schaufenster-Ausstellungen ist es, Menschen in die Wittener City zu locken. Ist das gelungen?

Erstens: Ja! Wir haben leider keine messbaren Daten, wie viele Menschen tatsächlich in die Fenster geguckt haben. Aber es waren 2021 allein 600 Wittener an den Ausstellungen beteiligt, jeder von denen bringt auch noch seinen Anhang mit in die Stadt.

Zweitens muss ich widersprechen: Es geht nicht nur um Belebung. Diese Ausstellungen sind ein Panoptikum Wittens, sie zeigen, was es hier alles gibt. Und das ist wichtig, denn immer wieder höre ich, wie trostlos die Innenstadt aussehe. Diese Ausstellung stärkt unser Selbstvertrauen.

Ende Februar beenden Sie Ihre Tätigkeit für die Galerie der Produkte. Wie stehen Sie dazu?

Vielleicht ist es gut, dass das Projekt auf ein Jahr begrenzt ist. Es hatte seine eigene Dynamik. Und wir wissen ja nicht, wann Saller mit dem Umbau beginnt oder was die Machbarkeitsstudie ergibt. Es ist Zeit für etwas Neues. Auch für mich: Ich tue das mit großer Leidenschaft, aber ich wüsche mir wieder mehr Zeit für meine eigentliche Berufstätigkeit, das Theater und das Coaching.