Essen. Die EU plant, die Farbpigmente Blue 15 und Green 7 für Tattoofarben zu verbieten. Dadurch würde den Tätowierern zwei Drittel ihrer Farben fehlen.
Gesundheitliche Risiken auf der einen, Existenzkampf auf der anderen Seite: Dass die Europäische Chemiekalienagentur (ECHA) empfiehlt, die Farbpigmente Blue 15 (74160) und Green 7 (74260) zu verbieten, löst großen Protest aufseiten der Tätowierer aus. Denn sollten die Farben EU-weit verboten werden, könnten die Tattowierer zwei Drittel ihrer Farben dem Kunden nicht mehr unter die Haut spritzen.
„Das ist absolut existenzgefährdend“, sagt Myriam Derrego, genannt Brainburger. Seit zwei Jahren tätowiert sie im Essener Tattoostudio „Art Faktors“. Sollten alle Farben, die mit diesen zwei Pigmenten gemixt werden, wirklich vom Markt genommen werden, dann würden viele Stilrichtungen wegfallen. „Es gibt nur ein paar Stilrichtungen, die mit schwarzer Farbe gestochen werden, aber Stilrichtungen wie Neo-Traditional oder Watercolor wären dann nicht mehr umsetzbar“, erklärt sie. Eine Alternative für die beiden Farbpigmente gibt es aktuell nicht.
Blue 15 und Green 7: In Kosmetikartikel bereits verboten
Das Europäische Parlament und der Rat hatten Blue 15 und Green 7 bereits für Kosmetikartikel verboten, da festgestellt wurde, dass die Farben länger auf der Haut verweilen. Da die Tattoo-Verordnung an die Kosmetik-Verordnung gebunden ist, soll das Verbot auch auf die Tattoofarben ausgeweitet werden.
Ein ECHA-Sprecher argumentierte kürzlich:„Wenn die Pigmente nicht auf der Haut verwendet werden dürfen, sollten sie auch nicht unter der Haut verwendet werden dürfen.“ Diese Argumentation kann die Tätowiererin nicht nachvollziehen. „Bei einem Tattoo sollen die Farben ja schließlich so lange wie möglich halten“, überlegt sie.
Für Tätowierer Christian „Conny“ Conrad aus dem Essener Tattoostudio „Glaube Liebe Hoffnung“ kommt diese Entscheidung überraschend. „Die Farben sind völlig unkompliziert im Gebrauch“, erklärt er. Vieles würde zudem schon seit zwanzig Jahren in der Tattoo-Szene verwendet werden.
Und Probleme habe es mit den Farben bisher noch nie gegeben. „Die Leute kommen nicht und sagen ‘Ich habe hier allergisch reagiert’ oder ‘Das heilt nicht ab’“, berichtet er aus eigener Erfahrung. „Ich habe natürlich selbst keine Langzeitstudien über mögliche Auswirkungen durchgeführt“, fügt er hinzu.
Langzeitstudien zu Tattoofarben fehlen
Generell gibt es bislang keine Langzeitstudien. Das prangert auch Dermatologin Katharina Schürings aus Düsseldorf an: „Es gibt einfach unheimlich wenige Studien dazu, und das obwohl rund 25 Prozent der Deutschen tätowiert sind.“ So könne niemand zweifelsfrei sagen, was mit der Farbe passiert, wenn sie unter die Haut gelangt.
Ungeklärt bliebe dadurch auch die Frage, welche Auswirkungen die Trägerflüssigkeiten und Konservierungsstoffe, die bei der Farbherstellung den Pigmenten hinzugefügt werden, auf den menschlichen Körper haben.
Bislang sei bekannt, dass die schwarze Tattoofarbe einen Anteil an Polyzyklischen Aromatischen Kohlenwasserstoffen enthält, die krebserregend sind. „Da ist es schon fraglich, warum jetzt die blaue und die grüne Farbe verboten werden sollen, die schwarze jedoch nicht“, sagt Katharina Schürings.
Tattoofarben bergen laut Medizinern ein Gesundheitsrisiko
Denn Tattoofarben seien generell ein Gesundheitsrisiko. „Für den Körper sind die Partikel zunächst Fremdkörper. Da ist es egal, ob es sich um die Farbe Blau, Grün, Gelb oder Rot handelt“, erklärt die Dermatologin.
Sie habe schon vereinzelt erlebt, dass Patienten allergisch auf Tätowierungen reagieren und über Juckreiz und nässende Haut klagen. Als Antwort des Immunsystems auf den Fremdpartikel könnten sich laut der Expertin auch Hautknötchen, sogenannte Granulome, bilden. Nicht zuletzt sammeln sich die Farbpartikel in den Lymphknoten. „An Leichen hat man festgestellt, dass die Lymphknoten in der Farbe des Tattoos gefärbt waren“, berichtet die Dermatologin.
Tattoofarben werden kontrolliert
In den Augen von Myriam Derrego und Christian Conrad sind die Tattoofarben jedoch unbedenklich. Außerdem würden die Tattoofarben durch die Tätowierverordnung kontrolliert werden. „Es gibt mannigfaltige Farbhersteller, die in der EU operieren, und die sind alle den gleichen Regularien unterworfen. Dementsprechend labeln sie sogar auch ihre Farben“, erklärt Conrad. Die Labels geben Aufschluss über Inhaltsstoffe, Haltbarkeit und Chargennummer.
Christian Conrad betrachtet die aktuelle Vorgehensweise der EU kritisch, besonders weil es keine vermehrten Vorfälle gegeben habe, die darauf hindeuten würden, dass die Pigmente gefährlich seien. „Ich frage mich, warum man da nicht eine Rücksprache mit der Zunft, also mit uns Tätowierern, hält, die sich auch selbst organisiert und immer Transparenz und Sicherheit propagiert.“
Mögliches Verbot der Tattoofarben: Zukunft ist noch ungewiss
Sollte das Farbenverbot durchgesetzt werden, können sich die beiden Tätowierer unterschiedliche Zukunfts-Szenarien vorstellen. „Das könnte natürlich dazu führen, dass die Leute keine Tattoos mehr gestochen bekommen, die aus Blau und Grün und dem dazugehörigen Farbspektrum bestehen“, stellt Conrad fest.
Etwas schelmisch unterstellt er der EU, dass sie vielleicht sogar vor habe, Zertifikate für Farbhersteller zu verkaufen, so dass nur noch Farben mit einem bestimmten Siegel genutzt werden dürften. Das wäre sehr kostspielig, die Preise für Farbe und Tattoos würden steigen.
„Ich glaube, die Leute werden auf jeden Fall weiter tätowieren, auch wenn die Farben verboten werden“, glaubt Myriam Dorrego hingegen. Nur dann vermutlich mit Farben vom Schwarzmarkt. Die Tätowiererin kommt gebürtig aus Spanien und kennt sich mit den Verhältnissen dort aus. In Spanien seien bereits bestimmte Farben verboten worden, wodurch sich ein großer illegaler Markt gebildet hatte. Ihrer Meinung nach könnte das auch auf Deutschland zukommen.
Christian Conrad sieht ebenfalls die Gefahr, dass Farben über bestimmte Kanäle nach Deutschland gelangen könnten, die nicht den europäischen Standards entsprechen. „Das wäre keine schöne Entwicklung. Das würde die Standard von Sicherheit und Qualität durchaus bedrohen.“
Petition #Tattoofarbenretten gibt Hoffnung
In Folge des drohenden Verbots der Tattoofarben hat Tätowierer Jörn Elsenbruch aus Erkelenz die Petition „#Tattoofarbenretten“ ins Leben gerufen, die sich an den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestags richtet. Weitaus mehr als die benötigten 50.001 Unterschriften sind bereits zusammen gekommen (136.792 Stand: 10.02.2020 16:02 Uhr). „Das bringt besonders die Hoffnung, dass auf brennende Fragen offen und vor allem auch sachgerecht und mit fundiertem Wissen diskutiert und eine Antwort gegeben wird“, sagt Christian Conrad.