Witten. Drei Kinder, kaum Geld: Für Melanie Ernst aus Witten ist es auch im Advent nicht leicht. So bereitet sie der Familie trotzdem ein frohes Fest.
Die Ruhrtalengel wollen in diesem Jahr mehr als 1000 Weihnachtswünsche erfüllen. Anna Ernst ist eines der bedürftigen Kinder, das ein Spendenpäckchen bekommt. Die Elfjährige hat sich ein Skateboard gewünscht. Ihre Mutter Melanie freut sich über die Hilfe. Es fällt ihr aber nicht leicht, sie anzunehmen. Die 42-Jährige will es aus eigener Kraft raus aus der Armut schaffen. Auch wenn es schwer ist – vor allem an Weihnachten.
Bis vor fünf Jahren war bei Familie Ernst alles in Ordnung. Mutter Melanie kümmerte sich um Haushalt und die drei Kinder. Ihr Mann, ein gelernter Maler und Lackierer, ging arbeiten. Als die Ehe nach 19 Jahren zerbrach, kam der Absturz – nicht nur finanziell. Kein Job, kein Unterhalt, die vielen Anträge beim Amt. „Ich war absolut überfordert. Ich kannte das ja alles nicht“, sagt die Frau aus Annen.
Wittenerin sagt: „Es war ein richtig tiefer Fall.“
Weil das Geld fehlte, kam sie mit den anstehenden Ratenzahlungen ins Stocken. „Wir hatten ja vorher noch einiges für die Kinder gekauft, Computer zum Beispiel.“ Um über die Runden zu kommen, bestellte sie im Netz auf Rechnung, ließ die Briefe und Mahnungen aber ungeöffnet liegen. Das finanzielle Loch wurde größer, die Verzweiflung auch. Die Trennung war schon schwer genug. Aber die Erziehung der beiden Jungs, die in der Pubertät ihre eigenen Wege fanden, um mit der Situation klarzukommen, überstieg die Kraft der plötzlich Alleinerziehenden. „Es war ein richtig tiefer Fall“, gibt Melanie Ernst zu.
Aufgefangen wurde sie schließlich vom Jugendamt. Mitarbeiterinnen der Familienhilfe unterstützten die Mutter und ihre drei Kinder dabei, wieder Boden unter den Füßen zu bekommen. „Ich hatte große Ängste und keine Ziele mehr“, sagt die Annenerin. Sie habe nicht mehr gewusst, wie es weitergehen soll. Die Familienhilfe habe ihr wieder Perspektiven eröffnet.
Bessere Unterstützung hätte es nicht geben können
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Doch leicht war das nicht für Melanie Ernst. Die Gespräche seien ans Eingemachte gegangen. Sie habe viel verarbeiten müssen – und die Idee, sich das Jugendamt ins Haus geholt zu haben, so manches Mal verflucht. „Aber heute weiß ich: Die Familienhelfer hatten mit allem Recht, was sie gesagt haben. Und eine bessere Unterstützung hätte ich nicht bekommen können.“
Inzwischen läuft das Leben von Familie Ernst wieder in geregelten Bahnen. Mit Hartz IV, Unterhaltsvorschuss und Kindergeld kommt sie nach Abzug aller Fixkosten auf etwa 900 Euro. In ihren alten Beruf als Friseurin zurückzukehren, das sei allerdings nicht drin. „Dazu bin ich viel zu lange raus.“ Aber sie hat sich bei den Ruhrtalengeln um einen Ein-Euro-Job bemüht und hilft nun seit einem Jahr sechs Stunden täglich in der Spendenannahme aus. So kann sie die Haushaltskasse um die 190 Euro im Monat aufstocken. „Damit kann man zwar keine großen Sprünge machen, aber es reicht.“
Für Weihnachtsgeschenke muss vorher gespart werden
Melanie Ernst hat gelernt, mit wenig Geld auszukommen. Sie kauft weder auf Rechnung noch auf Raten, hat alle Schulden bezahlt. Markenklamotten kommen ihr nicht mehr in die Tüte – auch nicht für die Kinder. Urlaub ist ganz gestrichen. Aber zu Weihnachten wird es trotzdem knapp. Adventskalender, Kleinigkeiten zum Nikolaus, ein Weihnachtsmarktbesuch mit der Kleinen: „Das geht nur, weil ich vorher was dafür zur Seite gelegt habe und ganz früh damit anfange, immer wenn ich was Günstiges finde.“
Unterm Tannenbaum liegen bei Familie Ernst inzwischen nur noch wenige Geschenke. Garderobe für die Jungs, ein Schulrucksack für die Tochter. „Was ich sonst übers Jahr gekauft habe, gibt es jetzt halt zu Weihnachten oder zum Geburtstag.“ So gerne sie ihren Kindern alle Wünsche erfüllen möchte, Melanie Ernst ist vorsichtig geworden. „Anna wünscht sich sehnlichst Reitstunden. Aber was, wenn ich ihr ein paar schenke – und dann will sie mehr?“
Kinder wissen auch Kleinigkeiten zu schätzen
Auch wenn es nur wenige Päckchen auszupacken gibt: Familie Ernst freut sich aufs Fest. Ein Bäumchen muss sein, „darauf legen die Jungs viel Wert“, leckeres Essen, gemeinsame Zeit. „Die Kinder brauchen mich seit der Trennung mehr.“ Sie wissen, dass das Geld knapp ist und Kleinigkeiten zu schätzen. „Andere haben in meinem Alter keinen Adventskalender mehr“, hat neulich erst der 17-Jährige zu seiner Mutter gesagt. Ihr ging dabei das Herz auf.
Fast 5000 Familien in der Grundsicherung
Die Zahl von Bedarfsgemeinschaften – Familien, Lebensgemeinschaften aber auch Alleinstehende – in Witten, die auf Grundsicherung angewiesen sind, ist in den letzten drei Jahren stabil geblieben, sie liegt bei 4918. In diesen Bedarfsgemeinschaften leben derzeit 8936 Personen (Stand August 2021).In gut 1500 der Familien wohnen auch Kinder unter 18 Jahren. Insgesamt leben fast 3000 Kinder unter 18 Jahren in Witten von Hartz IV, die Zahl ist dabei leicht rückläufig. 2019 waren es 2979, im letzten Jahr 2935 und in diesem Jahr (bis August) 2909 Kinder.
Und was wünscht sie sich zu Weihnachten? „Einen guten Start ins neue Jahr.“ Dann läuft die Familienhilfe aus, Melanie Ernst wird wieder auf sich allein gestellt sein. „Ein Stückchen Freiheit, aber auch eine Portion Unsicherheit“, sagt sie. Sie ist stolz auf das, was sie bis hierher erreicht hat, hofft auf einen richtigen Vertrag bei den Ruhrtalengeln. „Das wäre wunderbar.“
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Aber irgendeinen Wunsch wird es doch noch geben? Melanie Ernst überlegt lange, dann sagt sie: „Nur dass die Kinder glücklich sind.“ Ein wenig wird vielleicht auch das Skateboard für Tochter Anna dazu beitragen.